Mittwoch, 5. Februar 2014

sekundenfest





die straßen tanzen nackt  und blau
die stunde schmeckt belebend heiß wie tee
die lampen schimmern sonnig wie ein herbstwald
und die gedanken liegen frisch wie morgenschnee
mit bloßen händen säubern wir die sinne
die stumpf wie fenster warn vom sauren regen
wir treiben unaufhaltsam durch den ozean der zeit
und ahnen es der sturm wird sich nicht legen
nicht legen

aus dem radio stürzt das schweigen
im kopf dröhnt kosmisch heißer jazz
wir weben aus dem straßenstaub was warmes
und feiern das sekundenfest
die dame die erinnerung für pflicht hält
wird traurig und erstarrt zu salz
wir lachen und wir tanzen um die säule
und endlich klopft das herz uns bis zum hals
bis zum hals

                     auf dem tisch liegt eine rechnung
                     wir zerreißen sie und leben unsre lust
                     wir pfeifen auf die diktatur der mehrheit
                     die hoffnung als prinzip ist ein verlust
                     wie lange solln wir uns vertrösten
                     auf paradiese die dann irgendwann
                     mal kommen sollen während leise
                     und ungenutzt die beste zeit verrann
                     verrann

                     nein nein die straßen tanzen nackt und blau
                     die stunde schmeckt belebend heiß wie tee
                     die lampen schimmern sonnig wie ein herbstwald
                     und die gedanken liegen frisch wie morgenschnee


 (Leipzig 1986)

  
  
  zitiert aus: "sekundenbuch" (Leipzig 2012)