Freitag, 31. Oktober 2014

Amerika 6 - Im Haupttempel der Bücherwelt


Ein glücklicher Zufall und ein paar Emails mit mir persönlich  unbekannten, freundlichen Unterstützern meiner Reise haben es ermöglicht, dass ich am Donnerstag in aller Herrgottsfrühe aufstehen und mit Marcel per Eisenbahn nach Washington D.C. fahren konnte, um dort pünktlich um zehn eine persönliche Führung durch die Library of Congress, die legendäre Nationalbibliothek der USA, zu erhalten, die zugleich auch als größte Bibliothek der Welt gilt. (Ein nachträglicher Blick in deren Onlinekatalog ergibt übrigens, dass man hier immerhin zwei meiner Bücher im Bestand finden kann.)
 
Das großzügige, helle Jefferson-Gebäude (es gibt noch einige Nebengebäude auf dem Gelände wie auch außerhalb der Stadt) befindet sich direkt hinter dem Capitol und wurde 1897 nach den Entwürfen zweier deutscher Architekten in einem prachtvollen, historistischen Stil erbaut und von zahlreichen führenden Künstlern der letzten Jahrhundertwende ausgeschmückt. Unter den klassisch anmutenden Skulpturen, die die Fassaden außen wie innen schmücken, finden sich neben den großen Griechen, Engländern und Amerikanern auch Goethe und Beethoven wieder. Überhaupt ist der deutschen Anteil in dieser Bibliothek erstaunlich hoch, nicht nur als große (gleichsam Pate-stehende) Geister in der Gestaltung der Räume, sondern auch im Bestand - deutsche Bücher bilden nach den englischen die zweitgrößte Gruppe in der LoC.      

Erklärt bekommen wir dies von einem überaus charmanten, klugen und energischen Mann: Dr. Kurt Salomon Maier betreut seit 1978 ununterbrochen den deutschsprachigen Katalog der LoC. 1930 in Deutschland geboren, entkam er 1941 glücklicherweise in die USA und wurde hier Literatur- und Bibliothekswissenschaftler. Jetzt, mit 84 Jahren, arbeitet er (nach dem Tod seiner Frau) immer noch gerne ganztägig in der Bibliothek und eilt uns im Sauseschritt durch die prachtvollen Säle und die langen Gänge voran, sodass ich immer wieder Mühe habe, ihm zu folgen.  

Wir freunden uns auch persönlich rasch an, er erzählt nebenbei einiges aus seinem abenteuerlichen Leben, Karten werden ausgetauscht und weitere Kontakte vereinbart. Neben vielen Details am Stuck und in den Wandmalereien zeigt und erklärt uns Kurt Maier schließlich u.a. auch die legendäre große Gutenbergbibel (zu der er ein führender Experte ist) oder die erste (noch äußerst unvollständige) Landkarte der Welt, auf der Amerika als ebensolches benannt ist. Später gehen wir durch die technischen Gedärme des Hauses im Keller, um mit einem klappernden Uralt-Fahrstuhl aus glänzendem Messing und rotem Samt hinauf zum Raritätenkabinett zu fahren, dessen Türen für uns leider verschlossen bleiben... Aber schließlich geht es durch die spanische Abteilung hinüber in den europäischen Lesesaal, wo uns Kurt Maier verabschiedet und an seinen Schreibtisch zurückkehrt, den er eigens für uns ausnahmsweise verlassen hatte, um uns bis zu unserer nächsten Verabredung ein wenig im deutschen Handbestand blättern zu lassen... 

Schließlich begrüßt uns ein freundlicher und äußerst aufgeschlossener Gentleman (dieses Mal in Englisch), Mr. David Morris, Chefkurator der Europäischen Abteilung. Er erklärt uns, dass sein Department nach dem Mauerfall durch Integration der westeuropäischen Staaten in die ursprüngliche Osteuropaabteilung entstanden sei - als eine Art umgekehrter europäischer Vereinigung. Er hat als Historiker in Bonn über die Politik Helmut Kohls promoviert und erweist sich als überaus gut informiert über die jüngste deutsche Geschichte und ihre Untiefen. Er bedauert es, dass wir erst jetzt in Kontakt kommen, sonst hätte er mich gerne zu einer Lesung zu 1989 an sein Haus eingeladen. Besonders interessant wird es, als wir während unseres ca. einstündigen Gespräches auf die Samisdats des Ostens, die selbstgemachten Untergrundzeitschriften zwischen 1945 und 1989, zu sprechen kommen, von denen die LoC offensichtlich nur einige wenige gesammelt hat. Dass ich diese Zeitschriften als wichtigste Zeugnisse eines niemals veröffentlichten, prägenden Kapitels europäischer Geschichte bezeichne, verspricht mir Dr. Morris, sich dieses Themas anzunehmen und nachzuforschen, ob sein Haus hier der ihm eigenen universellen Bewahrungsintention ausreichend nachgekommen ist.  (Einen Tag später schon erhalte ich dann eine Email von ihm, dass er bei sich im Haus ebenso wie bei einigen angeschlossenen Universitätssammlungen nachgefragt hat und sie sich nun gemeinsam dieses Themas annehmen wollen. Falls ich wieder im Lande wäre, würde er mich gerne zu einer Veranstaltung dazu einladen.)
  Abends, zurück in Fredericksburg, gab es einen studentischen Halloween Poetry Slam an der University of Mary Washington, der mir trotz einiger kostümierter Teilnehmer sehr gut gefiel: Obwohl die meisten zum ersten Mal an einem Slam teilnahmen, waren alle Beiträge von durchaus slam-tauglicher literarischer Qualität. Und vor allem ging es wirklich um Poesie oder um gut performte Storys (und nicht um die meisten Schenkelklopfer wie inzwischen bei den meisten deutschen Slams, die eigentlich längst COMEDY Slams heißen müssten). Und auch das Publikum entschied weise und wählte tatsächlich die beiden mit den besten Texten zu Siegern und nicht etwa die mit der coolsten Performance oder dem emotionalsten Thema. Respekt.

Mittwoch, 29. Oktober 2014

Amerika 5a - There is a house (in Fredericksburg)


John und Marcel. leben in einem kleinen Haus aus Holz unweit der Ufer des mighty Rappahannock Flusses, den dereinst auch der mutige John Smith auf der Suche nach Pocahontas hinauf in die Wildnis fuhr.
  Heute steht hier ein kleines Städtchen voller Villen und Holzhäuser mit anmutigen Veranden (front porches genannt, wie auch die Gemeindezeitung), in dem täglich kleine Pferdekutschen staunende Besucher durch die friedlichen Straßen voller großer Bäume und kleiner Trödelläden, überquellend von Krimskrams aus älteren (nicht weniger guten) Tagen, fahren.
Wenn man über die Schwelle des Häuschens tritt, weitet es sich schlagartig zum wunderbaren Palast voller wohleingerichteter Räume, Zimmer, Kunstkabinette, Durchgänge und Ruheecken voller seltener Pflanzen, Möbel und Kunstgegenständen, die so wundersam anmuten, dass man sich kaum sattsehen möcht können.
Hinter dem freundlichen Einlass eröffnen sich neben der blütenduftenden Küche das stille Speisezimmer voller feinstem Porzellan ...
Im edel-cosy Wohnzimmer finden sich von berufener Künstlerhand gemalte Porträts unserer Vorfahren...
Und, irische Feierabendgetränke schlürfend vor dem Kamin sitzend, fragte sich der staunende Fremdling unwillkürlich, was wohl im oberen Geschoss noch alles verborgen sein mag?


Doch das Haus ist ringsum von einem wundersamen Garten voller wuchernder Pflanzen umgeben, während vor der Tür eine einladende Kutsche darauf wartet, das jemand das Haus verlassen möchte - was freilich nur äußerst selten der Fall sein dürfte...


Im oberen Geschoss jedoch erhält auch der Fremdling vor seinem gastlichen Gemach eine Ruhezone mit eigener Waschkommode, dahinter ein Lager für all die wohligen Träume, die sich in diesem Hause Nacht für Nacht ein munteres Stelldichein geben... 



Arbeitszimmer und Schlafgemach der Hausherren indes werden bewacht von einem aufmerksamen Paar weißer Löwen, die niemals schlafen.
Oder immer. 


Dienstag, 28. Oktober 2014

Amerika 5 - Kleinstadtintermezzo



Von  der prachtvollen Union Station im imperialen Herzen Washingtons (gleich neben dem Capitol) fuhr ich am Freitagnachmittag mit den beredt schweigenden Feierabendpendlern die knapp zwei Stunden hinunter ins deutlich beschaulichere Fredericksburg; entlang großzügiger Gebäude und grüner Landschaften in der goldenen Herbstsonne von den Ufern des Potomac zum mighty Rappahannock.
  Nach Washington würde ich noch zurückkommen, jetzt ging's zu Fuß durch die abendliche, kleine Stadt zu dem gemütlichen Haus von Marcel und John, das für die kommende Woche vorübergehend auch mein Zuhause sein soll.

Am Samstag fliegt John für ein paar Tage zu einer Konferenz nach St. Louis; Marcel nimmt mich mit auf den lokalen farmer’s market, auf dem es frisch vom Erzeuger unglaublich dicke Radieschen, golfballgroßen Rosenkohl und bunten Blumenkohl gibt. Wir werden zwischen den paar Ständen jedoch nicht nur von einer ausgewanderten Verkäuferin auf Deutsch angesprochen, sondern treffen auch Allyson und Chris beim Einkaufen, bei denen wir abends zum Essen eingeladen sind… Auch später im Wegman’s Supermarket treffen wir neben anderen Bekannten auch Allyson und Chris – es ist eine kleine Stadt und die guten Sachen gibt’s nur an bestimmten Stellen… Abends dann gibt es im Haus von Allyson (Historikerin für Spanien 16./17. Jh.) und Chris (Psychologe) die Einkäufe des Tages als recht vertraut schmeckenden Auflauf und wir haben in dem hellen, südlich-erlesen eingerichteten Holzhaus mit den beiden seniorenalten Hunden ein munteres Gespräch über Geschichte, Literatur, etwas Politik und einen internationalen Vergleich von Dichterattitüden. (Allyson: „I never met a poet like you. Except your vest and hat you behave absolutely normal.“)
 
Am Sonntag lassen wir uns Zeit mit dem Frühstück, dann skype ich unter allerlei technischen Umständlichkeiten mit dem bereits schon abendlichen Berlin („elektronische Familienzusammenführung“ meint Marcel) und brechen erst am Nachmittag, perfekt ausgerüstet, zu einer Radtour auf. Ein paar Minuten hinter der Stadt, aber bereits in Stafford County, liegt auf einem Hügel über dem halb verfallenen Dörfchen Falmouth das Anwesen Belmont des deutsch-amerikanischen Malers Gari Melcher, den in Amerika angeblich jeder Gebildete, in Deutschland (nicht ganz zu Unrecht) jedoch kaum jemand kennt. 
  Melcher, der sich auch einige Jahre in den Niederlanden und Deutschland rumgetrieben hatte, gehörte um 1900 herum zu den einflussreichsten und, dank seiner geschäftstüchtigen Porträtmalerei vor allem der Berühmten und Erfolgreichen, auch zu den reichsten Malern Amerikas. 
  Der Ort und das Anwesen sind wunderbar, wir besichtigen zunächst das Studio mit den vielen (qualitativ sehr unterschiedlichen) Gemälden. Später werden wir von gebildeten älteren Damen in einer kleinen Gruppe durch das noch komplett originalausgestattete Haupthaus geführt, in dem es jede Menge echter schöner alter Möbel, Teppiche und Gemälde gibt - was in den USA geradezu einmalig ist, weswegen dort auch keine Bilder gemacht werden dürfen. 

Schließlich steigen wir hinter Belmont noch hinunter zu den Wassern des (mighty) Rappahanock, der an dieser Stelle besonders breit und malerisch über abgeschliffene Sandsteinfelsen sprudelt. Wegen des (relativ) nahen Atlantiks hat der Fluß täglich schwankende Wasserstände, momentan scheinen sie besonders flach zu sein. John hatte mir vorher schon erzählt, dass man hier auch schöne Kanutouren machen kann, jetzt hätte ich Lust dazu, aber Marcel berichtet mir nun von seiner Ganzkörper-Amerikataufe – anlässlich einer Kanutour auf dem (mighty) Rappahannock… Wir radeln im warmen Herbstwind zurück zur Stadt und trinken unseren Kaffee in einer kleinen Bakery, die früher einmal eine Kirche war.  (Abends dann gibt es Fisch und Wein und anschließend „Tatort“ und „tagesthemen“ – zwei müde Deutsche am Sonntagabend halt… das ist dank des Internets vermutlich inzwischen weltweit so denk- und machbar, warum also nicht auch in Ost-Virginia.)

Am Montag geht Marcel zum Dozieren zur Uni und ich habe Zeit meine Sachen zu sortieren und ein wenig das Haus zu erkunden. Die beiden haben dieses kleine Holzschlösschen wirklich bis in den letzten Winkel ebenso erlesen wie praktisch & bequem eingerichtet; nicht nur die beiden Katzen (Valentino und Rambowa), auch ich könnte hier ohne weiteres mein ganzes Leben verbringen, ohne jemals nach draußen zu gehen. (Dazu deshalb demnächst eigens einen Hausbericht!) Dann allerdings lockt mich die warme Herbstsonne schließlich doch hinaus und ich durchstreife am Nachmittag die unerschöpflichen Antik-Shops und Geschenklädchen („Nichtsnutzläden“ würde Simone - nicht ganz zu Unrecht - sagen) von Fredericksburg: Zwar ohne irgendetwas Brauchbares zu finden, aber von all dem nostalgischen Krimskrams dennoch bestens unterhalten, bevor ich mich zuhause mit einem Kaffee auf der sonnigen FrontPorch niederlasse.  

Samstag, 25. Oktober 2014

Amerika 4 - Dreizehnter Stock oder Die Politik des Raumes


Mr Keith Warner lehrt Soziologie an der Uni von Colorado Springs und lud mich ein, in seinem Seminar über "große soziale Umbrüche" von 1989 zu erzählen (und wie es uns Ossis damit erging). Teresa musste mich aus dem Seminar holen, denn es war Zeit für eine Verabredung mit ein paar netten Leuten in einem europäischen Restaurent mit hervorragendem Essen. Die Lesung am gleichen Abend auf dem Campus fand vor zweisprachigem Publikum statt und auch wenn das Publikum den Hörsaal nur locker füllte, war es doch das erste Mal, dass ich danach standing ovations erlebte. Die Herzlichkeit und aufmerksame Zugewandtheit der Anwesenden überraschte mich durchaus. Danach gingen wir bald zu Bett, denn am nächsten Morgen brachte mich Teresa schon gegen sechs zum Flughafen. Im üblichen Reisekoma gelangte ich mit einem geruhsamen Lokalflug nach Chicago, wo ich eine Stunde Zeit zum Umsteigen hatte und rasch einen amerikanischen Lunch "hatte" (d.h. ein dickes Beef-Sandwich und große Cola mit gaanz viel Eis). Eigentlich dachte ich von Chicago gar nichts sehen zu können, aber beim Take off flogen wir bei bestem Wetter in weitem Bogen über die Stadt und ich sah unter mir eine angenehm wimmelnde Skyline auftauchen, deren Wolkenkratzer in einem Distrikt am Ufer des großen blauen Sees (Lake Michigan) kulminierten und irgendwie einen heiteren und einladenden Eindruck machten. (Leider war die Kamera in diesem Moment unerreichbar verstaut.) Dann waren wir auch schon über dem riesiegen See und ich sah weit unter mir kleine Herden von Schönwetterwölckchen dicht über den See hasten und dabei kleine Schatten auf die gekräuselte Oberfläche des Wassers werfen: Sie hatten es offenbar eilig, dort unten in Hunderten Grüppchen irgendwo hinzukommen (vielleicht zu einer großen Wolkenversammlung?), während ich in meinem proppevollen Lokalflieger weit oben gemütlich Richtung Washington brummte.      
 
Als ich beim Anflug auf Washington erwachte, prasselte feinster Nieselregen gegen die Fenster und wir schwebten bereits in einer dichten weißen Wolkensuppe. Ruckzuck bekam ich jedoch (wie bei allen amerikanischen Inlandflügen) meinen Koffer direkt aus dem Bauch der Maschine direkt in den Gangway gereicht und suchte mir vor dem National Airport ein Taxi, mit dem mich ein schweigsamer riesiger Schwarzer (dessen Kopf beinahe am Autodach rieb) im Berufsverkehr durch die grünen Waldhügel rund um die Innenstadt hinauf nach Silver Springs brachte, wobei er unentwegt nervös auf seinem lederumspannten Lenkrad trommelte, als sei es ein Satz karibischer Congas. Nach dem Einchecken konnte ich feststellen, dass ein hartnäckiges Gerücht über die amerikanischen Hotels tatsächlich stimmt: Es gibt hier keinen 13. Stock! Mein Zimmer lag im 16. (Also 15.) Tja.
 
Bald schon holte mich Katharina Rudolf ab und brachte mich bei Nieselwetter zur Catholic University of America, die mich eingeladen hatte und wo abends ein Forumsgespräch zum Thema Mauerfall stattfand. Auf dem Campus befindet sich deutlich sichtbar auch die größte katholische Kirche der USA (The National Shrine!), ein historistischer Bau, der auf interessante Weise Merkmale der Ost- wie der Westkirche in sich vereint, gewissermaßen ein byzantinisches Rom mit der romantischen Klarheit des späten amerikanischen 19. Jahrhunderts imaginierend. (Im ästhetischen Ansatz der pseudoauthentischen Märchenarchtitektur der Berliner Neuen Synagoge aus derselben Zeit nicht ganz unähnlich.) Im Foyer des Vorlesungsgebäudes gab es an diesem Abend deutsche Gadgets und Imbisshappen; etliche Studenten sowie eine Expertengruppe der deutschen Botschaft trafen ein und wir machten uns bekannt, ehe für über zwei Stunden sehr emotional und kontrovers zum Thema deutsche „Wende“ und die Folgen diskutiert wurde. Später versackten wir deutschen Gäste und die amerikanischen Experten noch in einem Restaurant um die Ecke.  
  
Nachdem wir am nächsten Morgen meine Formalitäten auf dem Campus geregelt hatten, fuhr mich Katharina mit ihrem Auto kreuz und quer durch „D.C.“, um mir einen ersten Eindruck von der Hauptstadt zu verschaffen. In der Tat trägt die Politik des Raumes in Washingtons  Innenstadt neorömische Züge – kilometerweite Grünanlagen durchziehen zwischen zwei schnurgeraden Prachtavenues das Gelände, auf denen unter einem hohen Himmel weiträumig verstreut große Prachtbauten mit riesigen Treppenaufgängen und gigantischen Säulen aus strahlen weißen Steinen die Menschlein wie Orientierung suchende Ameisen aussehen lassen... zum Glück sind Macht und Größe von viel Grün und Wasser durchzogen, das macht es natürlicher und lässt die Füße in dieser Weite angenehm irdisch schmerzen.
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Das Weiße Haus im repräsentativen Herzen der Stadt war weiträumig abgesperrt (am Vortag hatte wieder einmal ein Verrückter den Zaun überklettert und wollte zu Obama ins Oval Office vordringen), auf den Wiesen am Washington Monument trainierte ein American Football Team und am Lincoln Memorial konnte ich in der staunenden Menge neben Russisch und Mandarin auch die sächsische Mundart heraushören. Die vielen beeindruckend großen Museen der Smithsonian Stiftung ringsum jedoch wollte ich mir (trotz freiem Eintritt)  für ereignisärmere Tage aufheben.




  
Vor allem thronte breit und erhaben das Capitol - allerdings mit unfeierlich eingerüsteter Kuppel, was dem Ganzen einen Hauch vom Berliner Endlos-Baustellen-Charme verlieh. (Überhaupt erschien mir Washingtons Atmosphäre in gewisser Weise der von Berlin zu gleichen - alles recht nüchtern, massentauglich, offiziell; nur eben zwei, drei Nummern größer... )
 Später sahen wir uns noch die legendäre M street (und den Campus der Georgetown University) in einem höher gelegenen Stadtteil an, dessen kleine Häuser und Einkaufstraßen einen bedeutend menschenfreundlicheren Eindruck machten, und gingen am Dupont Circle in einem eher stadteinwärts gelegenen Ausgehviertel essen. 

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Meine Lesung in einem Hörsaal der modernen Fremdsprachen der CUA lief ähnlich wie in Colorado: Zuerst sahen wir den kurzen Film der BBC über meine Erfahrungen am 9. Oktober 1989 (siehe hier), dann las ich einige der eigens übersetzten Passagen aus „Rabet“; allerdings hatten die Studenten in Washington tatsächlich schon fast den ganzen Roman auf Deutsch (!) gelesen und sich mit den politischen und sprachlichen Hintergründen des Textes befasst, sodass eine fast schon familiäre Atmosphäre entstand. (Im Raum hing zu meiner Überraschung übrigens eine Deutschlandkarte aus dem Jahr 1995 von Justus Perthes Gotha.) Gemeinsam mit Katharina Rudolf brachte mich die norddeutsch-handfeste Fakultätsdekanin Claudia Bornhold anschließend erfreulicherweise noch nach Mount Pleasant  (dessen kleinteiligere und multikulturellere Amtosphäre mir Washington schlagartig um einiges sympathischer werden ließ), wo wir im gemütlichen MARX Café (sic) noch ein revolutionäres Abendessen genossen und uns aufs Angenehmste unsere Geschichten erzählten...