Amerika 5 - Kleinstadtintermezzo
Von der prachtvollen Union
Station im imperialen Herzen Washingtons (gleich neben dem Capitol) fuhr ich am Freitagnachmittag mit den beredt schweigenden Feierabendpendlern die knapp zwei Stunden hinunter ins deutlich beschaulichere Fredericksburg; entlang
großzügiger Gebäude und grüner Landschaften in der goldenen Herbstsonne von den
Ufern des Potomac zum mighty Rappahannock.
Nach Washington würde ich noch zurückkommen, jetzt ging's zu Fuß durch die abendliche, kleine Stadt zu dem gemütlichen Haus von Marcel und John, das für
die kommende Woche vorübergehend auch mein Zuhause sein soll.
Am Samstag fliegt John für
ein paar Tage zu einer Konferenz nach St. Louis; Marcel nimmt mich mit auf den lokalen farmer’s market, auf dem es frisch
vom Erzeuger unglaublich dicke Radieschen, golfballgroßen Rosenkohl und bunten
Blumenkohl gibt. Wir werden zwischen den paar Ständen jedoch nicht nur von einer
ausgewanderten Verkäuferin auf Deutsch angesprochen, sondern treffen auch Allyson
und Chris beim Einkaufen, bei denen wir abends zum Essen eingeladen sind… Auch
später im Wegman’s Supermarket treffen wir neben anderen Bekannten auch Allyson
und Chris – es ist eine kleine Stadt und die guten Sachen gibt’s nur an bestimmten Stellen… Abends dann gibt es im Haus von Allyson (Historikerin
für Spanien 16./17. Jh.) und Chris (Psychologe) die Einkäufe des Tages als recht vertraut schmeckenden Auflauf und wir haben in dem hellen, südlich-erlesen eingerichteten
Holzhaus mit den beiden seniorenalten Hunden ein munteres Gespräch über Geschichte,
Literatur, etwas Politik und einen internationalen Vergleich von
Dichterattitüden. (Allyson: „I never met a poet like you. Except your vest and hat you behave
absolutely normal.“)
Am Sonntag lassen wir uns
Zeit mit dem Frühstück,
dann skype ich unter allerlei technischen Umständlichkeiten mit dem bereits schon abendlichen Berlin („elektronische Familienzusammenführung“ meint Marcel) und brechen
erst am Nachmittag, perfekt ausgerüstet, zu einer Radtour auf. Ein paar Minuten
hinter der Stadt, aber bereits in Stafford County, liegt auf einem Hügel über dem halb
verfallenen Dörfchen Falmouth das Anwesen Belmont des deutsch-amerikanischen Malers
Gari Melcher, den in Amerika angeblich jeder Gebildete, in Deutschland (nicht ganz zu Unrecht) jedoch kaum jemand kennt.
Melcher, der sich auch einige Jahre in den Niederlanden und Deutschland rumgetrieben hatte, gehörte um 1900
herum zu den
einflussreichsten und, dank seiner geschäftstüchtigen Porträtmalerei vor allem der Berühmten und Erfolgreichen,
auch zu den reichsten Malern Amerikas.
Der Ort und das Anwesen sind
wunderbar, wir besichtigen zunächst das Studio mit den vielen
(qualitativ sehr unterschiedlichen) Gemälden. Später
werden wir von gebildeten älteren Damen in einer kleinen Gruppe durch das noch komplett
originalausgestattete Haupthaus geführt, in dem es jede Menge echter schöner alter
Möbel, Teppiche und Gemälde gibt - was in den USA geradezu einmalig ist,
weswegen dort auch keine Bilder gemacht werden dürfen.
Schließlich steigen wir
hinter Belmont noch hinunter zu den Wassern des (mighty) Rappahanock, der an dieser Stelle besonders breit und malerisch
über abgeschliffene Sandsteinfelsen sprudelt. Wegen des (relativ) nahen Atlantiks
hat der Fluß täglich schwankende Wasserstände, momentan scheinen sie besonders
flach zu sein. John hatte mir vorher schon erzählt, dass man hier auch schöne
Kanutouren machen kann, jetzt hätte ich Lust dazu, aber Marcel berichtet mir nun
von seiner Ganzkörper-Amerikataufe – anlässlich einer Kanutour auf dem (mighty) Rappahannock… Wir radeln im
warmen Herbstwind zurück zur Stadt und trinken unseren Kaffee in einer kleinen Bakery,
die früher einmal eine Kirche war. (Abends
dann gibt es Fisch und Wein und anschließend „Tatort“ und „tagesthemen“ – zwei
müde Deutsche am Sonntagabend halt… das ist dank des Internets vermutlich inzwischen
weltweit so denk- und machbar, warum also nicht auch in Ost-Virginia.)
Am Montag geht Marcel zum Dozieren zur Uni und
ich habe Zeit meine Sachen zu sortieren und ein wenig das Haus
zu erkunden. Die beiden haben dieses kleine Holzschlösschen wirklich bis in den
letzten Winkel ebenso erlesen wie praktisch & bequem eingerichtet; nicht
nur die beiden Katzen (Valentino und Rambowa), auch ich könnte hier ohne weiteres
mein ganzes Leben verbringen, ohne jemals nach draußen zu gehen. (Dazu deshalb demnächst eigens einen Hausbericht!) Dann allerdings
lockt mich die warme Herbstsonne schließlich doch hinaus und ich durchstreife am
Nachmittag die unerschöpflichen Antik-Shops und Geschenklädchen („Nichtsnutzläden“
würde Simone - nicht ganz zu Unrecht - sagen) von Fredericksburg: Zwar ohne
irgendetwas Brauchbares zu finden, aber von all dem nostalgischen Krimskrams dennoch
bestens unterhalten, bevor ich mich zuhause mit einem Kaffee auf der sonnigen FrontPorch niederlasse.
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