Wenn
spätere Generationen über den Zeitgeist unserer gegenwärtigen Epoche nachdenken werden ( - warum ist uns das eigentlich so wichtig? Immerzu müssen//wollen wir
auf uns selbst mit "den Augen der Geschichte" schauen... seltsam...
vielleicht sind wir denen später völlig egal?); falls also spätere Generation eventuell
über den Zeitgeist unserer gegenwärtigen Epoche nachdenken würden, würde
eines sicherlich zum zentralen Symbol unserer hysterischen Mediengesellschaft
am Beginn des 21. Jahrhunderts werden: Das Nachrichtenlaufband am unteren Rand
unseres Lebens. Die "breaking news", die neueste
Twitter-Nachricht.
Wir verfolgen die aktuellen
Katastrophen dieser großen weiten Welt von Erdbeben in Haiti bis Schiffsuntergang an der italienischen Lilieninsel live und in Farbe - als zu
unserem Alltag gehörige Dauerserien, wie unsere Eltern noch "Dallas"
und "Kojak - Einsatz in Manhattan". (Sie haben zwei neue Nachrichten!)
Mauerfall, 11. September, Ölleck im Golf von Mexiko. Nie werde ich vergessen,
wie im letzten Frühjahr die netten Gute-Laune-Moderatoren vom privaten Frühstücksfernsehen eines Morgen mit einer "Live-Schalte"
überrascht wurden und zwischen dem werbegesponserten Morning Quiz (Gewinnen Sie
500,- Euro JETZT!) und dem wöchentlichen Imbissbuden-Report (Vergeben Sie bis
zu 5 Sternen!) mal eben kurz das Eintreffen eines Tsunamis auf Japans Südküste
inlusive der kompletten Überflutung einiger verschlafener Dörfer kommentierten,
die per Hubschrauberkamera auf den Bildschirm übertragen wurde. (Ah, Moment,
Telefon... Sorry, bin gleich wieder da.) - Täglich überprüfen wir mehrmals, was
es Neues gibt - als hätten wir irgendeine Chance, etwas zu verpassen. Was
bringt uns dazu, uns so zu verhalten? Globalisierung ist offenbar nicht nur ein
wirtschaftlicher Fakt, auch unser innerstes ICH ist existenziell globalisiert -
die breaking news aus Kalifornien gehen uns innerlich näher als
Schicksal unseres Hausnachbarn (wie heißt der noch - der immer seinen Müll vor
der Tür stehen lässt). Wir haben keine Zeit, wir müssen Nachrichten gucken,
E-Mails lesen, Blogleser bei der Stange halten und Tweets absetzen... wir sind
mit der ganzen Welt vernetzt! Wie dem Baum ständig neue Blätter wachsen,
wachsen uns eben Nachrichten. (So sind wir Menschen, unser Geist will
beschäftigt sein - und Kreuzworträtsel sind auf die Dauer nur bedingt
spannend.) Nur, dass es bei uns mit jedem Jahr schneller geschieht... (In Ihrer
Abwesenheit erreichten Sie vier neue Nachrichten!) Kennen Sie auch diese vor
sich hin brütenden Zeitgenossen, die auf dem leeren Bürgersteig, im Bus, in der
Warteschlange einsam ins Leere starren und lauthals rufen: "Moment kurz,
da klopft jemand auf der anderen Leitung."?
Bei mir begann es exakt im Herbst 1989,
dass ich plötzlich nicht mehr aufhören konnte, die Nachrichten zu verfolgen.
Täglich geschahen (von Leipzig aus gesehen) sensationell neue Dinge, die man
sich nie hätte vorstellen können und die das eigene Leben existenziell
veränderten. Gute Gründe, am Radio zu bleiben und sich einen Fernseher zu
kaufen! Seitdem hoffe ich stündlich, dass es zu weiteren Ereignissen
dieser Art kommt, die mein eigenes Leben so erfreulich und fundamental
umformen. Immernoch schalte ich begierig mehrmals am Tage die Nachrichten ein.
Leider umsonst in den letzten 22 Jahren. (Eilig: Sie haben einen neuen
Kommentar von traumtänzerin79!) Ja klar, lachen Sie nur. Ich giere nach
den echten "breaking news" ebenso wie Sie. Nur habe ich einen Grund:
Die Erfahrung, dass es manchmal wirklich welche geben kann. Doch unsere
Hoffnung auf mehr (d.h. unser "Bedürfnis nach umfassender
Information") gibt einem gobalen Filzgeflecht aus ausgebufften
Aufmerksamkeitsmaklern die leichte Chance, uns bis tief in unser Hirn hinein
(bis in den Schlaf?) mit "breaking news" zu foppen, unsere geistigen
Energien zu fesseln und zu lenken. Ist Abschalten überhaupt möglich?
Natürlich musste (?) auch ich mich
"aus beruflichen Gründen//wegen der Erreichbarkeit" aufrüsten: AB,
Handy, E-Mail-Account etc. - jeder darf selbst ergänzen... Um den Eindruck der
Technikfeindlichkeit zu vermeiden: Besonders E-Mail und google liebe ich über
alles - die wichtigsten Erfindungen seit dem Buchdruck! Wichtiger als das Auto. E-Mail erlaubt uns eine
weltweite Korrespondenz ohne den Papierverbrauch des Briefschreibens - und vor
allem ohne den Lärm und die störende Zeitfresserei des Telefonierens! Schnell, still,
verlässlich schriftlich - und dann zu erledigen, wann ich will - ein Traum!!
(Ihr Account musste wegen Überfüllung gelöscht werden. Bitte wenden Sie sich an
den Administrator.) Und google ist der Marktplatz der Wissensangebote, der in
den alltäglichen Fällen des Nichtwissens - also vermutlich 90 % - den
zeitraubenden Gang in die Bibliotheken u.ä. erspart! Ein Traum, dass ich das noch
erleben darf, der ich zu Beginn meiner Informations-Laufbahn nicht einmal ein
Telefon haben durfte... Aber wie auf jedem echten Flohmarkt gibt es auch im
Virtuellen jede Menge Bauernfänger & Halbseidene, die zu erkennen zunehmend
aufwändiger wird... (Achtung: Sensationsentscheidung im Bundestag. In
Kürze mehr!!)
"Dass ich niemals eine
denkwürdige Nachricht aus einer Zeitung schöpfte, dessen bin ich ganz
sicher. Wenn wir lesen, dass ein
Mensch beraubt, ermordet oder zufällig
getötet wurde, ein Haus abbrannte,
ein Schiff unterging und ein
Dampfer in die Luft flog, eine Kuh von der Eisenbahn überfahren und ein
wütender Hund getötet wurde oder dass ein
Schwarm Heuschrecken im Winter
angetroffen wurde, so brauchen wir das niemals wieder zu lesen. Wenn Dir
das Gesetz bekannt ist, was brauchst du dich um die Myriaden von Fällen und
Anwendungen zu kümmern? Dem Philosophen sind alle Neuigkeiten Geschwätz, und
die es herausgeben und lesen, alte Teetanten.“ sagt mein kluger,
alter Herzensfreund Henry David Thoreau. Doch wie wird es weitergehen? Wie wird
es ausgehen mit uns und der Welt?? Behält Thoreau Recht?? - Bleiben Sie dran!!!