Dienstag, 28. Februar 2012

Alles über einen gewissen Giovanni di Lorenzo ...

Die von mir und vielen meiner Bekannten als geistreich und hochwertig eingeschätzte Wochenzeitung DIE ZEIT sandte mir als Abonnenten vor etwa zwei Wochen mal wieder per E-Mail eine Umfrage zum so genannten "Zeitbarometer" zu. Darüber prangte das sanft lächelnde, lockige Konterfei des Chefredakteurs di Lorenzo. Es waren nur wenige, recht belanglose Fragen a là wie finden Sie Christian Wulf, gefällt Ihnen die Politik der Kanzlerin oder wie schätzen Sie Ihre persönliche Lage gerade so ein, die die ZEIT an mich und meine momentane Stimmung hatte. Dann sollte man ausführlich seine Adressdaten usw. eintragen, was ungefähr so lange dauerte, wie die drei, vier Fragen zu beantworten - und schon konnte man beim tollen Gewinnspiel um eine Reise zu den Azoren mitmachen... Ach, lieber Herr Lorenzo, was liegt Ihnen nur so sehr an meinen Daten? Und wieso braucht ein seriöses Stimmungbarometer ein Gewinnspiel? Machen die das in den TV-Nachrichten auch immer so? - dachte ich. Und löschte die E-Mail. Die ZEIT ist ja seit Jahren voll von Artikeln über Datenmissbrauch und Adressengeschachere!
  Dann erinnerte ich mich, wie meine Lieblingszeitung im letzten Herbst so eine riesige Kampagne für das Buch vom weisesten deutschen ZEIT-Herausgeber aller Zeiten, dem Herrn Altkanzler Schmidt und seinem Protegé, dem Herrn Steinbrück, der so gerne Kanzler werden möchte, fuhr: Mit Titelblatt, Vorabdruck, Skandal-Interview zum Interviewbuch etc. pp. - das Ganze fette Marketingprogramm, das man für ein Buch, das ansonsten keiner braucht, eben so fahren muss. Und wie sich dieses professionelle Spiel, in seiner ganzen Bandbreite, zwei Wochen später wiederholte - diesmal für einen Interviewband des bestausehendSTen Zeitungsredakteur Europas Herrn di Lorenzo mit dem bestaussehendSTen Ex-Politiker der Welt, Herrn von und zu Guttenberg... sensationelle Informationen!! Das verlangt nach Titelseite, Skandal-Interview zum Skandal-Interview und so weiter - eben dem ganzen Marketingprogramm! Wow. Die Leute vom Zeitverlag verstehen wirklich etwas vom Geschäft, finde ich! Geld generieren mit Stürmen im Wasserglas, ähm, Blätterwald.
  Und plötzlich dämmert mir ein ungeheurlicher Verdacht... Man weiß ja mittlerweile genügend über die ausgefuchsten Strategien der Marketingexperten von heute: Das Kind, das uns von der Packung Kinderschokolade entgegenlächelt, ist inzwischen ein alter Mann und hat bereits dritte Zähne. Die junge Dame, die sich so lasziv auf dem Abbild des neuesten Automodells räkelt, hat gar keine Führerschein und heißt auch nicht Nadine! Der Marlboro-Man starb an Lungenkrebs. Und Milli-Vanilli waren gecastete Modells, die gar nicht singen konnten!!!  
  Lieber Giovanni di Lorenzo (auch wenn Sie vermutlich gar nicht so heißen): Sie sind wirklich das bestaussehendSTe Chefredakteursmodell, von dem ich je eine Umfrage-E-Mail bekam, bei der ich meine Daten abgeben sollte!! Wirklich überzeugend auch Ihre enorme darstellerische Leistung bei Diskussionsveranstaltungen und Fernseh-Talkshows. Es ist garantiert nicht einfach, als begabtes Marketingtalent das Wissen und die Eloquenz eines Chefredakteurs von Weltrang so erfolgreich  darzustellen. Jetzt verstehe ich immerhin auch, warum Sie immer so sanft hauchen... Sie sind bei den Marketinggenies des Zeitverlags unter Dauervertrag. Und Ihr eigener, durchschlagender Erfolg lässt Sie da nicht raus!
  Schade nur, dass Sie mir in Ihrem Leser-Videoblog auf ZEIT online nicht geantwortet haben, als ich Sie fragte, was eigentlich mit den Daten all derer gemacht wird, die sich am Zeitbarometer beteiligten. Aber, falls mein Verdacht zuträfe, auch geradezu LOGISCH!! Sie können es gar nicht wissen, Sie sind ja ein Produkt der Marketingabteilung. Übrigens hat mir dafür etwas mehr zwei Wochen nach meiner Rück-E-Mail auf die Umfrage nun bereits ein kompetenter Mitarbeiter des ZEIT-Marketing-Teams sachkundig geantwortet. Ein gewisser Herr Marius Mueller (der Sie vielleicht sogar gecastet hat?) schrieb:
>> 
Sehr geehrter Herr Jankowski,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Bitte entschuldigen Sie meine späte Antwort. Je nachdem, ob der Teilnehmer der Umfrage zugestimmt hat, dass seine Daten anderweitig verwendet werden dürfen, gehen wir auch mit seinen Daten um. Generell haben wir den Ansatz, dass wir Daten auf Wunsch restlos löschen oder alternativ für jegliche weitere Verwendung sperren.
Ich hoffe ich konnte Ihnen weiterhelfen. Sollten Sie noch weitere Fragen haben, wenden Sie sich gerne jederzeit an mich.

Herzliche Grüße aus dem Hamburger Pressehaus
Marius Müller
<<
Man verwendet die Daten bei Zustimmung also "anderweitig". Ahaaa! Dankeschön für die Aufklärung. (Zu ergänzen wäre, dass die Zustimmung am Ende der Umfrage anzukreuzen war und die dazugehörigen, extra aufzurufenden AGB ungefähr Hunderte ellenlanger kleinSTgedruckter Paragraphen enthielten, aus denen für einen normalen ZEIT-Leser wie mich leider keineswegs hervorging, was mit den Daten "für das Gewinnspiel" eigentlich geschehen wird. Nur so viel: Sie werden nicht nur für das Gewinnspiel verwendet.)
  Ja, es ist immer wertvoll zu wissen was die Leser so denken. Nicht wahr, liebe Sklavenhalter des begabten Herrn di Lorenzo? Ich fordere: Freiheit für Giovanni di Lorenzo! (Oder wie auch immer der heißt, den ich eigentlich meine...)

1 Kommentar:

  1. Nachtrag: Herr Müller hat mir jetzt nochmal geschrieben! Er sagt "anderweitig" bedeutet, die Datengeber könnten Material aus Werbekampagnen des Zeitverlags per Post bekommen und so. Auch Meinungsumfragen. (So pseudo wie das "Zeitbarometer"? Oder eher detaillierte Umfragen zum Verbraucherverhalten des Datengebenden?)
    Und dann auf der ZEIT-online Seite heute der Knaller: Leser können auf Herrn di Lorenzos Videoblog ab sofort keine Nachrichten oder Fragen mehr an ihn hinterlassen... die Kommentarfunktion wurde dort entfernt! (Vermutlich, siehe oben, weil der als di Lorenzo agierende Mann ohnehin nicht antworten könnte...?) Ich bin gezwungen, über diesen Blog mit dem vermarkteten Manne zu kommunizieren - ein anderer Weg existiert gar nicht (mehr)!!

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