Montag, 13. April 2015

Kurze Erinnerung an Günter Grass

Als ich im Sommer 2003 als Gastdozent neueste deutsche Literatur in Jakarta/Indonesien unterrichtete, fragten mich, als die Rede auf Günter Grass kam und ich im Präsens von ihm sprach, die dortigen Germanistikstudenten ein wenig überrascht: "Lebt der denn noch?"
  Für sie war der deutsche Nobelpreisträger ein ferner Klassiker aus einer anderen Epoche (eben der vor 1989 - und literarisch stimmt das ja auch selbst für seine nach 1989 erschienenen Bücher) ...


Eines Frühjahrs durfte ich an seinem alten Schreibtisch, an der er Jahre zuvor seinen Großroman "Die Rättin" geschrieben hatte, als braver Literaturstipendiat meine kleine "Mäuse"-Novelle tippen... Die Lesepremiere fand vor versammelter nordelbischer Dorfbewohnerschaft in der frisch renovierten alten Holzküche des Döblinhauses zu Wewelsfleht statt, in der einstmals all die berühmten Butt-Rezepte ausprobiert worden waren und Grassens echte Rättin (sic!) nebst ihrer Nachfahren die Dielen so sehr zernagt hatten, dass sie eben komplett renoviert werden musste... Das wunderbare, handgeschnitzte bäuerliche Holzhaus am Elbdeich war ja bis 1985 von der Familie Grass bewohnt worden; bis dann 5 km weiter das Kernkraftwerk Brokdorf gebaut wurde - da schenkte Grass das Haus der Berliner Akademie der Künste für deren Stipendiatenprogramm für verhärmte Großstadtdichter und zog mit seiner Familie fort. Der Nussbaum, den Grass angeblich zur Geburt seiner Tochter Helene dort im Garten gepflanzt hat, beherrscht heute in aller Pracht das Grundstück und tritt übrigens auch in meinem Gedicht "sängerkrieg" (siehe "sekundenbuch", S. 97) eine Strophe lang auf:
  ...
      vor meinen fenstern hebt
      der nussbaum seine siegeräste
      in seinen zweigen verglüht
      feierlich breit der abend

 ...
(Natürlich ist es zum Verständnis des Gedichtes völlig unerheblich, welcher Nussbaum mir beim Schreiben in realo vor Augen stand... aber hier sei es passenderweise erwähnt.)

Später geriet ich zu einer Jubiläumsveranstaltung des Döblinhauses in der großen Mehrzweckhalle hinterm Elbdeich mit ihm diskutierend aneinander, als ich ihn aus gegebenem Anlass spontan öffentlich bat, nicht immer so westonkelig für "die Ostdeutschen" zu sprechen, wir könnten ganz gut für uns selbst sprechen und dächten desöfteren was ganz anderes als er der Welt weismachen wollte, das wir dächten... Eiei, das fand er nicht witzig und war für ein paar Stunden echt eingeschnappt. (Thema des Forums war "Literatur und Politik" gewesen und wir jüngeren Autoren hatten auch dazu teilweise doch recht andere Meinungen als der alte Meister.) Zum Glück ist seine Frau Ute eine Arzttochter von Hiddensee, sodass sie mich als gebürtigen Greifswalder ansprach und wir am Ende des Tages und Abends dann doch wieder halbwegs einträchtig beieinander saßen. (Siehe Foto. Das war übrigens kurz vor dem "Häuten der Zwiebel"-Skandal seiner verschwiegenen SS-Mitgliedschaft, er hatte das entscheidende Interview dazu schon gegeben, aber es war noch nicht erschienen und ging erst in der Woche danach hoch.)

In ein, zwei Sätzen kommentiert (d.h. lobt) er übrigens in seinem Roman "Ein weites Feld" auch all die literarischen Erzeugnisse aus meinem heutigen Wohnhaus in Berlin - indirekt, indem er es "Fonty" sagen lässt...

Jetzt ist er verstummt, der streitbare Zausel. Und Oskar Matzeraths Stimme gellt uns für immer in den Ohren.



(c) Foto: Peter Wawerzinek

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