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Samstag, 18. April 2015

SASAKANANAS (einladung zu einer lyrischen expedition)

Ausgelöst durch den Gastlandstatus auf der kommenden Frankfurter Buchmesse wird derzeit Indonesien eines der großen Themen im deutschen Literaturbetrieb. Da ich mich seit Jahren literarische eben damit beschäftige, möchte der Leipziger Literaturverlag aus meinem über vierzehn Jahre gewachsenen lyrischen Material zu Indonesien auch eine deutsche Auswahl veröffentlichen, denn etliche Gedichte sind zwar seit Jahren bekannt und z.T. auch in diversen Magazinen und Anthologien erschienen - einen Gedichtband für den deutschsprachigen Raum gab es davon jedoch bislang noch nicht. (Auch das einigen auch hierzulande bekannte, zweisprachige "Indonesische Sekundenbuch" erschien vor zehn Jahren nur in Indonesien.) Um dieses eigentlich längst überfällige Buch nun passenden zum Indonesienthema veröffentlichen zu können, habe ich eine repräsentative Auswahl aus den besten bzw. bekanntesten Gedichten sowie einiges neue, unveröffentliche Material (sowie einige "Urversionen" manches Texts) unter dem Titel >> sasakananas* << zusammengestellt,  das nun beim Leipziger Literaturverlag erschienen ist und ab sofort bestellt werden kann - ganz einfach HIER!

Es steht zu vermuten, das das schön gestaltete Büchlein des Leipziger Literaturverlags nicht nur eine ungewöhnliche literarische Entdeckungstour wird, sondern auch einen wunderbaren poetischen Einstieg in ein Thema bietet, das uns allen in diesem Jahr noch öfters begegnen wird. Neben einem Geleitwort des legendären indonesischen Dichters Goenwan Mohamad wird es auch einen kleinen Essay enthalten, in dem ich die erstaunliche Hintergrund-geschichte des einen oder anderen Gedichts berichte!


* Wer wissen möchte, was sasakananas eigentlich ist, dem ... empfehle ich - das Büchlein!
:-))

    fotos (c) christoph czarski

Mittwoch, 4. März 2015

DIE GRÖSSTEN DICHTER UNSERE ZEIT: Forscher errechnen durchschnittliche Textlänge!

Welche Textlänge ist normal? Forscher haben in einer internationalen Studie die Länge des Texts von gut 15.000 Autoren bestimmt. Ergebnis: Die Deutschen liegen unter dem Durchschnitt!

Es wurden Essays über sie geschrieben, und in Kulturdokumentationen durften flache Witze zu dem Thema nicht fehlen - es geht um die Textlänge. So viele Mythen sich um sie ranken, so wenige belastbare Daten zur Normallänge gab es bislang. Nun haben Forscher in der bisher größten systematischen Übersichtsanalyse Orientierung geschaffen.

  Viktor Reider vom Parnass Institute Berlin Prenzlauer Berg und Kollegen werteten knapp 20 Studien aus, in denen die Textlänge oder der Textumfang von mehr als 15.500 Autoren im Alter von 17 bis 91 Jahren von Fachpersonal erfasst wurde. Demnach ist der durchschnittliche Text im unlektorierten Zustand 9,16 swps (Substanzielle Worte pro Satz) lang, in überarbeitetem Zustand 13,24. In lektoriertem Zustand erreicht der Durchschnittstext eine Länge von 13,12 swps, berichten die Forscher im Fachmagazin "Sprache im Text (Sprit)".

   Auch den durchschnittlichen Umfang errechneten Reider und Kollegen aus den Daten: Demnach hat der durchschnittliche unlektorierte Text einen Umfang von 9,31 substanzieller Worten pro Satz, bei Romanen über 300 Seiten erreicht er immerhin einen Wert von 11,66.


Deutsche Autoren unter dem Durchschnitt


Die höchsten Längenwerte ergab die Messung in Frankreich. Die durchschnittliche Textlänge in unlektoriertem Zustand liegt bei den Franzosen bei 10,74 swps. Schottland kommt mit 10,2 auf Platz zwei. Die deutschen Autoren haben mit einer Durchschnittslänge von 8,6 etwas kleinere Texte als der Durchschnitt.

  Allerdings hat der direkte Ländervergleich Schwächen: So schwankt etwa die Gruppenlänge der einzelnen Studien zwischen 52 bei den Griechen und mehr als 3000 bei den Italienern. Aus Deutschland wurden 111 Autoren untersucht. Einige Nationen waren in mehreren Studien vertreten, mit unterschiedlichen Ergebnissen (siehe Abb.). Da die meisten Teilnehmer aus den analysierten Studien kaukasischer Herkunft sind, ließen sich keine Unterschiede zwischen Kulturräumen untersuchen. Mit Kaukasiern sind in der Studie Europäer, Südasiaten und Nordafrikaner gemeint.

  Es gibt immer wieder Gerüchte, dass sich die Textlänge an anderen anatomischen Merkmalen ablesen lasse, etwa an der Länge der Nase im Vergleich zur Dotierung bisheriger Preise oder der Länge des Zeigefingers im Verhältnis zur Anzahl bisheriger Veröffentlichungen. Die Wissenschaftler fanden jedoch keinen Zusammenhang zwischen der Textlänge, der Marke des Handys, der Zeigefingerlänge, der Anzahl der Stipendien oder dem Alter. Lediglich beim Verhältnis von Körper- und Textlänge im lektorierten Zustand entdeckten sie eine schwache Korrelation. Sprich: Große Autoren haben tendenziell einen längeren Text.


Auch unterdurchschnittliche Werte sind normal


"Wir glauben, dass unsere Daten helfen werden, die große Mehrheit der Autoren davon zu überzeugen, dass ihre Textlänge im normalen Bereich liegt", erklärt Reider. Man müsse sich klar machen, dass bei normaler Verteilung die Hälfte der Bevölkerung einen kleineren Text hat als der Durchschnitt. Auch Werte unterhalb von 9,16 swps sind demnach kein Grund zur Sorge. Laut Wolf Buhmann vom Berufsverband der deutschen Texterzeuger reicht die Spanne dessen, was normal ist von 7,5 bis 19 im Ruhezustand, "wobei es deutlich mehr 7,5er als 19er gibt."

   Autoren schätzen ihre Textlänge häufig zu negativ ein. Eine Online-Befragung mit mehr als 52.000 Probanden ergab etwa, dass 85 Prozent der Leser zufrieden mit der Textlänge ihres Autors waren, aber nur 55 Prozent der Autoren mit ihrer eigenen Textlänge.

   Nun wollen die Forscher anhand ihrer Daten genauer untersuchen, wie sich Selbsteinschätzung und Realität unterscheiden. Außerdem sollen die Daten helfen, Bücher herzustellen, die noch besser sind.

Samstag, 29. November 2014

Political Correctness: Was bewirkt "politisch korrekte" Sprache?

"David Foster Wallace, der Autor von 'Infinitive Jest', hat afroamerikanische Studenten nicht nur im Gebrauch von 'weißem Englisch', sondern auch 'politisch korrektem Englisch' unterrichtet, das er als eine noch höhere Hürde erlebte. In einem Essay für das Magazin Harper's folgert auch er, dass zur Etikette geronnene politische Korrektheit politischer Aktion im Wege steht: 'Der strenge Code egalitärer Euphemismen dient dazu, genau die Art von schmerzhaftem, unschönem und manchmal beleidigendem Diskurs zu unterdrücken, der in pluralistischen Demokratien zu wirklichen politischen Veränderungen führt.'"

(Quelle: Robin Alexander in Die Welt 29.11. 2014)

Montag, 8. Oktober 2012

Das Boomzeitalter der Literatur!


Unter dem Titel "Das Nächste bitte!" hat Stephan Porombka es kürzlich ausgerufen - das unmittelbar bevorstehende Boomzeitalter der Literatur. Ja: Boomzeit! Wer hätte das gedacht. Gesponsert von der Bundeskulturstiftung leitet Prombka einen selbstgebastelten Thinktank namens LITFLOW, der die deutsche Literatur ab sofort - mit allerlei tönenden Berlin-Mitte-Events und progressiven Publikationen - in die glorreiche Zukunft führt: Internet sei dank! Zumindest bis zum Ende des Förderbewilligungszeitraumes.
  Heiß wird diskutiert und viel, vor allem von westdeutschen und ostküstenamerikanischen Literaturprofis aus dem Nicht-Bestseller-Bereich. Innovation, Nachhaltigkeit, Kreativität, aber auch papierunabhängiges Lesen und Schreiben, effektives Zielgruppenmarketing und gestaltungsoffene, multimediale Vernetzung erreichen nun - endlich! - auch den dröge vor sich hin dümpelden deutschen Literaturbetrieb. Der ja bekanntlich einer der am Boden liegendsten der Welt ist...
  Aber alles wird gut, denn erstaunliche neue Literaturformen wie E-Book, Blog-Print-on-Demand (demnächst auch in 3D) und Twitteratur befreien Autor wie Leser ab sofort von den Fesseln des Papiers und der traurigen Einsamkeit des staubmüffelnden Alleinlesers in seiner Sesselecke. Wie das alles gehen kann und wo die gesetzlichen Regelungen für die Abrechnung stehen, aber vor allem, wie ab sofort die neue Strömungs-Literatur zeitgeist- und digitalmarktgerecht zu produzieren sein wird, das klären nun Porombka und sein weltweites Litflow-Team aus Hildesheim und den angeschlossenen Goethe-Instituten: Technologisches Upgrade plus Marketing-Selbstermächtigung für ein hoffnungslos veraltetes Genre im Zeitalter der digitalen Entgrenzung. Puhhh, das war knapp. Doch noch eine Chance auf Anschluss! Danke - danke, danke, danke...   
  KANN MAN JETZT also mit e-books schneller reich und berühmt werden? Prombka sagt: Die Boomzeit ist da! Also, wie viel verdient ein deutscher Autor so derzeit? Die Wissenschaftler Kretschmer und Hardwick von der Universität Bournemouth hatten dazu, gänzlich unabhängig von Zukunftsweiser Porombka, vor wenigen Jahren etwa 25000 deutsche und britische Schriftsteller befragt. Deren wichtigste, auch 2012 noch weitgehend geltende Erkenntnisse: Im Referenz-Jahr 2005 verdienten professionelle deutsche Autoren im Durchschnitt pro Jahr 12.000 €. (Berufsautor ist, wer mehr als 50% seiner Arbeitszeit für Geld schreibt.) Das sind 42% des nationalen Durchschnittseinkommens - weniger als die Hälfte von "Otto Normalbürger" und "Lieschen Müller".
  Die 10% der wenigen deutschen Autoren von den oberen Plätzen der Bestsellerlisten verdienen 41% des Gesamteinkommens aller Autoren. Das ist dennoch keine "GEMA-Situationen" wie bei den deutschen Musikern, denn unsere Literaturstars liegen dann im Durchschnitt auch immer noch bei nur ca 40.000 € pro Jahr. Während andererseits über 50% der Autoren mit nur 12% des deutschen literarischen Jahresgesamteinkommens (DLJG) auskommen müssen. 60% der deutschen Dichter und Denker haben deshalb einen zweiten ("richtigen") Job, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. (Netzwerkadministrator? Amazonbuchhändler?) Und: Autorinnen verdienen durchschnittlich 30% weniger als ihre männlichen Kollegen. (Das entspricht exakt der deutschen Realität in den meisten anderen Bereichen.)
  Höchste Zeit, das Prombka & Co den Weg in die Zukunft frei machen! Die Boomzeit einer neuen deutschen Literatur ist nahe! (Sagt Prombka.) Fragt sich noch: Was für einer? (Und: Warum braucht Porombka für den Boom Fördergelder?)
 

Samstag, 15. September 2012

Das Imperium der Kreativität

Andreas Reckwitz' kluges Buch über die Rundum-Ästhetisierung unserer Gesellschaft
 
„Sei kreativ!“ heißt der unumgängliche Imperativ unserer Zeit. Vom Kindergarten bis zum Altersheim: Kein Einkaufszentrum ohne Mitmachbühne; keine Mediekampagne ohne Einsendemöglichkeit für gestaltungswütige Interaktive; kein Waldspaziergang ohne kreativ gestaltete Holz- oder Steinblöcke am Wegesrand. Jeder darf inzwischen nicht nur Künstler sein, er soll es, will es und muss es. Nicht nur im Hinblick auf die Schaffung von Kunstwerken: Ohne ein Mindestmaß an Kreativität gibt’s keinen Job und keine Anerkennung mehr; unser ganzes Leben soll mittlerweile eine von uns hochkreativ gestaltete, einzigartige Selbstschöpfung sein. Gelingendes Leben heißt Kreativität, wie uns die flüsternden Stimmen aus Beurteilungsbögen, Werbetrailern und Bestsellerlisten unermüdlich bestätigen. Und ausgerechnet die weltferne, unsolide und bis vor wenigen Jahrzehnten verfemte Künstlerboheme mit ihren surrealen Einfällen und sprunghaften Stimmungen liefert offenbar die Matrix, den Prototyp heutigen Handelns. Querdenkertum als neue Gesellschaftsnorm?

Kreativitätsdispositiv nennt das, in Anlehnung an die Foucaultsche Begrifflichkeiten für gesellschaftswirksame Diskursfelder, der Kultursoziologe Andreas Reckwitz. Der Autor, Professor der Kulturwissenschaften in Frankfurt (der alten Universitätsstadt bei Berlin), geht in seinem neuesten Suhrkamp-Band „Die Erfindung der Kreativität – Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung“ einem epochemachenden Prozess auf den Grund: Der Entstehung eines globalen postmodernen Kapitalismus‘ aus dem Geist der Kreativität. Reckwitz betrachtet das bislang zu wenig hinterfragte Phänomen gründlich und in allen Aspekten - sein Buch gleicht einer Rundumschau zum aktuellen Erkenntnisstand der Kreativität: Text wie Fußnoten und Apparat liefen die Bandbreite der wichtigsten Literatur aus Soziologie, Politikwissenschaft und Kulturtheorie der letzten Jahrzehnte zum Thema und binden sie verständlich ein in den ruhigen, gut strukturierten Fluss der Überlegungen.

In acht - im sachlichen Wissenschaftsduktus geschriebenen - Kapiteln, die durch ihre hohe Informationsdichte und die Verknüpfung verschiedenster Ansätze und Diskurse überzeugen, skizziert Reckwitz eine Diagnose unserer Epoche, die in ihren Einzelheiten längst bekannt, in der Gesamtschau jedoch verblüffend erscheint: Weniger der politische Epochenwandel von 1989 als vielmehr der weltweite Wechsel von der funktional-naturwissenschaftlichen Orientierung gegenwärtiger Gesellschaften seit den 1960er Jahren hin zur durchkulturalisierten Kreativgesellschaft von heute scheint der entscheidende globale Paradigmenwechsel zu sein, der das Schicksal unserer gesellschaftliche Realität entscheidend prägt: Der Schritt von der kognitiven zur ästhetischen Gesellschaftsnorm.

Um dies zu veranschaulichen, beschreibt und deutet Reckwitz entscheidende Phänomene der letzten einhundert Jahre wie etwa die allmähliche Ablösung des Kunstwerks durch das Kunstereignis (Performativität, Festivalisierung), das soziale Regime des immerfort Neuen, die kulturelle Ökonomie unserer Starsysteme, die Ästhetisierung des Ökonomischen (Stichwort: Design) oder die Etablierung von Werbung und creative industries als neue ökonomische Leitbranchen. Die Kulturalisierung der Stadt (als creative city), die Ästhetisierung des Sozialen und die Emotionalisierung von Wirtschaft und Politik werden mit eigenen Kapiteln so umrissen, dass man sowohl die Prozesse selbst als auch verschiedenste wissenschaftliche Positionen dazu erfassen und sich ein erstes Bild vom Ausmaß des Wandels machen kann, auf den Reckwitz mit diesem Buch fundiert aufmerksam macht. 

Erstaunlich, wie von Reckwitz überzeugend herausarbeitet wird, dass nicht etwa die Ökonomie das Feld der Kreativität unterwandert und durchkommerzialisiert hat, sondern dass umgekehrt die Kreativität längst zum rettenden Motor und zum charakteristischen Wesen unserer gegenwärtigen globalen Ökonomie geworden ist.  Dieses Buch sei deshalb keineswegs nur Kultursoziologen und Berufskreativen ans Herz gelegt, sondern allen, die verstehen möchten, was unsere gegenwärtige Gesellschaft antreibt und wohin sie treibt. „Die Erfindung der Kreativität“ ist ein wesentlicher theoretischer Beitrag zum Verständnis unserer Epoche: Wir leben offenbar längst im Ästhetischen Kapitalismus. Wenn man wissen möchte, was das heißt, kann man bei Reckwitz erstaunlich viel lernen.       

Andreas Reckwitz: „Die Erfindung der Kreativität – Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung“
suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Berlin 2012

Sonntag, 15. Juli 2012

Europäische Krise?


Jährlich erscheinen rund 25 000 neue belletristische Titel allein in Deutschland (Übersetzungen inklusive)! Der fanzösische Schriftsteller Michel Butor konstatiert dennoch eine literarische Krise Europas. "Wir leben nicht nur in einer Wirtschaftskrise, wir leben auch in einer literarischen Krise. Die europäische Literatur ist bedroht. WAS WIR GERADE IN EUROPA ERLEBEN IST EINE KRISE DES GEISTES. Das immerhin haben die europäischen Nationen gemeinsam." sagt er in einem aktuellen Interview der ZEIT. Selten habe ich einer Einschätzung so zustimmen können wie dieser - ich fühlte mich bislang allerdings recht einsam mit meinem Gefühl des rasenden Stillstands; auf den Literaturbetriebsparties und Buchmessen galt ich mit meiner Unzufriedenheit als chronischer Miesepeter. Doch Michel Butor spricht mir aus dem Herzen: "Seit zehn oder zwanzig Jahren gibt passiert beinahe nichts mehr in der Literatur. Es gibt eine Flut von Veröffentlichungen, aber einen geistigen Stillstand."
  Genau so empfinde ich es. Seit etwa 1995, seit der stilistischen "Rückkehr zur großen Erzählung" - sprich dem allgemeinen Ende der sprachlichen Experimente und dem merkantilen Siegeszug des koventionellen linearen Erzählens klassisch-angloamerikanischen Stils - gibt es zwar jede Menge guter Bücher, aber die replizieren das bisher Bekannte und Erreichte in allen Varianten oder sie recyceln und mixen es neu, aber sie übersteigen es nicht: Eine Art literarischer Restauration, ein geistiger Urobos. (Möglicherweise gilt das auch für andere Bereiche der europäischen Kultur, etwa die Musik, das Theater oder die bildende Kunst...?) Es fehlt der geistige Zugewinn, der neue Ansatz, der denkerische Schritt voran, die horizonterweiternde Perspektivenverschiebung. Wo bleibt er geistig gesehen, der inflationär angesagt "Paradigmenwechsel"? Stattdessen die technische Aufrüstung des Altbekannten.
  Es ist wie mit den Eiskremsorten, jeden Sommer kommen mehr und raffiniertere hinzu, aber die Sache selbst bleibt gleich. (Nichts gegen Vielfalt. Nur: Braucht's für's Sommerglück unabdingbar Acerola-Bergthymian-Macadamia?) Das 21. Jahrhundert als kulturelle Replik des Bisherigen in immer neuen Formaten ("Schneewittchen" jetzt auch in 3D fürs I-phone)? Unsere zeitgenössischen Kulturprodukte: Sehr viel Gutes, hervorragende Qualität! Aber keine neue. Und viel zu viel zu viel vom Ähnlichen. Die allgemeine "Selbstverwirklichung" führt in die unendliche Breiiiiiiiiiiteee: Jeder muss jetzt eben auch selbst kreativ sein. Das ist völlig legitim. Doch ich fange an, dieses Wort zu fürchten! Viel Form, nicht selten durchaus auch auf hohem Niveau; doch wenig Inhalt, der aufregend neu wäre, der einen Ansatz zum Weiterdenken, zum Neu- und Umdenken böte. Oder sehen wir das Wichtige in der Flut des immergleichen täglich Neuen gar nicht mehr? Kann es jenseits der verkaufspsychologisch erzeugten MARKETING-Kultur (etwa die Literatur a lá Rowling, Roche, Sarrazin oder aktuell E.L. James etc.) gar nicht mehr zur Grundlage einer gemeinsamen Diskussion, eines kulturellen Diskurses für eine Gesellschaft werden, weil die WARE AUFMERKSAMKEIT inzwischen schon viel zu sehr industriell erzeugt, kontrolliert, verwertet und gelenkt wird?

Der Verdacht besteht, dass der von Michel Butor gemeinte geistige Stillstand derzeit die "westliche" Kultur insgesamt betreffen könnte (und ihr verschärftes Abbild, das derzeit in den Megacities der wuchernden asiatischen Massengesellschaften in wahrlich atemberaubenden Dimensionen heraufzieht). Aber um mal bei der Literatur zu bleiben: Natürlich wurden in den letzten zwanzig Jahren innerhalb "der deutschen Literatur" ein paar bemerkenswerte Bücher geschrieben, die auf die Pflichtleseliste künftiger Germanistikstudenten gehören und so mancher Leser hat's auch gemerkt und gelesen - nur mit welcher Wirkung? (Und warum sollte man die Literatur "unserer Epoche" später überhaupt noch lesen?) Gut, nicht jedes Buch muss für die Ewigkeit geschrieben sein. (Die Franzosen können zumindest auf die Bücher Houellebecqs verweisen, dem wenigstens halbwegs unerschrockene Diagnosen unseres Dilemmas gelingt. Für weitere gesellschaftlich relevante Buchbeispiele wäre ich dankbar!) Nur: Könnte unter den Fluten von Neuem auf den anologen und digitalen Marktplätzen des zeitgenössischen Texthandels nicht wenigstens ETWAS dabei sein, das uns WEITER hilft, uns weiter und anders denken lässt? Ich meine: Uns gemeinsam, als kritischer Kultur? Oder ist das Projekt Aufklärung beendet und wir variieren jetzt die erreichten Resultate nur noch in geschmacklichen Varianten? Es geht um die geistigen Grundlagen unserer Zukunft im Moment höchster Dynamik in der Entwicklung der Menschheit. Aber es entspricht nicht unserer gegenwärtigen Stimmung, solche großen Sätze überhaupt zu denken. Wir bleiben skeptisch und trinken caffè latte.

Klar, Revolutionen, egal ob politisch, kulturell oder welcher Art auch immer, kommen selten auf Bestellung und meistens zu einer Zeit und aus einer Richtung, die die wenigsten erwarten. Dennoch warte und hoffe ich sehnlichst auf eine baldige geistige Revolution, einen kulturellen Aufbruch, Neuansatz. Das aufgeregte Getöse über die gesellschaftlichen Auswirkungen der digitalen Technologien täuscht uns darüber hinweg: "Der Westen" steckt geistig keineswegs in einem epochalen Umbruch, wie ein paar bislang zu kurz gekommene Nerds meinen, sondern vielmehr in einer kulturellen Sackgasse. (Die Piratenkultur als fraktale Vervielfältigung der Postmoderne mit digitalen Mitteln ... ?)
  Während viele westliche Bildungsbürger derzeit ängstlich pfeifend abwarten, dass die so genannte Euro-Krise an uns vorüberziehen möge wie ein vermeidbares Gewitter, hoffe ich, dass der Irrsinn der Banken schnellstmöglich zu einem Ende finden möge - damit offenbar wird, dass am Grunde der "marktgemachten" Finanzkrisen etwas ganz anderes (?) lauert - die von uns, den "westlichen Bildungsbürgern 2.0" und unserer Selbstzufriedenheit aufgestaute europäische Geisteskrise. Wir stecken kulturell und denkerisch bis zum Hals darin - und können uns kaum noch bewegen. Kommt ein Dammbruch? Hoffen wir weiter darauf, die Unwetter mögen an uns vorüberziehen? Oder prosten wir uns mit unserem HUGO dauerfröhlich-wellnessgestärkt zu und fragen abwinkend-grinsend: Krise? Welche Krise??       
            

Dienstag, 28. Februar 2012

Alles über einen gewissen Giovanni di Lorenzo ...

Die von mir und vielen meiner Bekannten als geistreich und hochwertig eingeschätzte Wochenzeitung DIE ZEIT sandte mir als Abonnenten vor etwa zwei Wochen mal wieder per E-Mail eine Umfrage zum so genannten "Zeitbarometer" zu. Darüber prangte das sanft lächelnde, lockige Konterfei des Chefredakteurs di Lorenzo. Es waren nur wenige, recht belanglose Fragen a là wie finden Sie Christian Wulf, gefällt Ihnen die Politik der Kanzlerin oder wie schätzen Sie Ihre persönliche Lage gerade so ein, die die ZEIT an mich und meine momentane Stimmung hatte. Dann sollte man ausführlich seine Adressdaten usw. eintragen, was ungefähr so lange dauerte, wie die drei, vier Fragen zu beantworten - und schon konnte man beim tollen Gewinnspiel um eine Reise zu den Azoren mitmachen... Ach, lieber Herr Lorenzo, was liegt Ihnen nur so sehr an meinen Daten? Und wieso braucht ein seriöses Stimmungbarometer ein Gewinnspiel? Machen die das in den TV-Nachrichten auch immer so? - dachte ich. Und löschte die E-Mail. Die ZEIT ist ja seit Jahren voll von Artikeln über Datenmissbrauch und Adressengeschachere!
  Dann erinnerte ich mich, wie meine Lieblingszeitung im letzten Herbst so eine riesige Kampagne für das Buch vom weisesten deutschen ZEIT-Herausgeber aller Zeiten, dem Herrn Altkanzler Schmidt und seinem Protegé, dem Herrn Steinbrück, der so gerne Kanzler werden möchte, fuhr: Mit Titelblatt, Vorabdruck, Skandal-Interview zum Interviewbuch etc. pp. - das Ganze fette Marketingprogramm, das man für ein Buch, das ansonsten keiner braucht, eben so fahren muss. Und wie sich dieses professionelle Spiel, in seiner ganzen Bandbreite, zwei Wochen später wiederholte - diesmal für einen Interviewband des bestausehendSTen Zeitungsredakteur Europas Herrn di Lorenzo mit dem bestaussehendSTen Ex-Politiker der Welt, Herrn von und zu Guttenberg... sensationelle Informationen!! Das verlangt nach Titelseite, Skandal-Interview zum Skandal-Interview und so weiter - eben dem ganzen Marketingprogramm! Wow. Die Leute vom Zeitverlag verstehen wirklich etwas vom Geschäft, finde ich! Geld generieren mit Stürmen im Wasserglas, ähm, Blätterwald.
  Und plötzlich dämmert mir ein ungeheurlicher Verdacht... Man weiß ja mittlerweile genügend über die ausgefuchsten Strategien der Marketingexperten von heute: Das Kind, das uns von der Packung Kinderschokolade entgegenlächelt, ist inzwischen ein alter Mann und hat bereits dritte Zähne. Die junge Dame, die sich so lasziv auf dem Abbild des neuesten Automodells räkelt, hat gar keine Führerschein und heißt auch nicht Nadine! Der Marlboro-Man starb an Lungenkrebs. Und Milli-Vanilli waren gecastete Modells, die gar nicht singen konnten!!!  
  Lieber Giovanni di Lorenzo (auch wenn Sie vermutlich gar nicht so heißen): Sie sind wirklich das bestaussehendSTe Chefredakteursmodell, von dem ich je eine Umfrage-E-Mail bekam, bei der ich meine Daten abgeben sollte!! Wirklich überzeugend auch Ihre enorme darstellerische Leistung bei Diskussionsveranstaltungen und Fernseh-Talkshows. Es ist garantiert nicht einfach, als begabtes Marketingtalent das Wissen und die Eloquenz eines Chefredakteurs von Weltrang so erfolgreich  darzustellen. Jetzt verstehe ich immerhin auch, warum Sie immer so sanft hauchen... Sie sind bei den Marketinggenies des Zeitverlags unter Dauervertrag. Und Ihr eigener, durchschlagender Erfolg lässt Sie da nicht raus!
  Schade nur, dass Sie mir in Ihrem Leser-Videoblog auf ZEIT online nicht geantwortet haben, als ich Sie fragte, was eigentlich mit den Daten all derer gemacht wird, die sich am Zeitbarometer beteiligten. Aber, falls mein Verdacht zuträfe, auch geradezu LOGISCH!! Sie können es gar nicht wissen, Sie sind ja ein Produkt der Marketingabteilung. Übrigens hat mir dafür etwas mehr zwei Wochen nach meiner Rück-E-Mail auf die Umfrage nun bereits ein kompetenter Mitarbeiter des ZEIT-Marketing-Teams sachkundig geantwortet. Ein gewisser Herr Marius Mueller (der Sie vielleicht sogar gecastet hat?) schrieb:
>> 
Sehr geehrter Herr Jankowski,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Bitte entschuldigen Sie meine späte Antwort. Je nachdem, ob der Teilnehmer der Umfrage zugestimmt hat, dass seine Daten anderweitig verwendet werden dürfen, gehen wir auch mit seinen Daten um. Generell haben wir den Ansatz, dass wir Daten auf Wunsch restlos löschen oder alternativ für jegliche weitere Verwendung sperren.
Ich hoffe ich konnte Ihnen weiterhelfen. Sollten Sie noch weitere Fragen haben, wenden Sie sich gerne jederzeit an mich.

Herzliche Grüße aus dem Hamburger Pressehaus
Marius Müller
<<
Man verwendet die Daten bei Zustimmung also "anderweitig". Ahaaa! Dankeschön für die Aufklärung. (Zu ergänzen wäre, dass die Zustimmung am Ende der Umfrage anzukreuzen war und die dazugehörigen, extra aufzurufenden AGB ungefähr Hunderte ellenlanger kleinSTgedruckter Paragraphen enthielten, aus denen für einen normalen ZEIT-Leser wie mich leider keineswegs hervorging, was mit den Daten "für das Gewinnspiel" eigentlich geschehen wird. Nur so viel: Sie werden nicht nur für das Gewinnspiel verwendet.)
  Ja, es ist immer wertvoll zu wissen was die Leser so denken. Nicht wahr, liebe Sklavenhalter des begabten Herrn di Lorenzo? Ich fordere: Freiheit für Giovanni di Lorenzo! (Oder wie auch immer der heißt, den ich eigentlich meine...)