Mittwoch, 5. Dezember 2012

Berlin: Der Unmut der Gefangenen

Die Knast-Journalisten der außergewöhnlichen Gefangenenzeitschrift "Lichtblick" der Berliner JVA Tegel (Deutschlands größtem Männerknast), die ich durch unser Projekt Literatur hinter Gittern seit Jahren kenne, haben heute per Email einen ungewöhnlichen Brandbrief als offenen Brief an den Berliner Justizsenator Heilmann verbreitet, denn ich hiermit unkommentiert der geneigten Internet-Öffentlichkeit weiterleiten möchte... Dieser Text stammt also nicht von mir und gibt auch nicht unbedingt meine eigene Meinung zu den besprochenen Problemen wieder. Ich selbst bin von dem polemischen Ton des Textes eher irritiert und kann das Gesagte nicht wirklich beurteilen. Dennoch sei der Text hiermit im Sinne der Unterstützung der ansonsten eher Stimmlosen und zur Beförderung einer hoffentlich konstruktiven Diskussion der offenbar akuten Probleme im vollen Wortlaut zitiert:  

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Hungerstreik und Revolte in Berliner Gefängnissen!?

Mitteilung und gleichzeitig Offener Brief an Justizsenator Heilmann der Gesamtinsassenvertretung der JVA Tegel, der Gesamtverwahrtenvertretung und der Redaktionsgemeinschaft „der lichtblick“, Deutschlands auflagenstärkster und einzig unzensierter Gefangenenzeitung aus der JVA Berlin-Tegel, besonders an Journalistenkollegen – bitte berichten Sie darüber …
In Berliner Gefängnissen rumort es mächtig: gesetzeswidrige Lockerungsverweigerung, gesetzeswidrige Nicht-Entlassung, gesetzeswidrige Unterbringung, gesetzeswidrige Nicht-Behandlung. Gefangene und Sicherungsverwahrte, die unter diesen Verhältnissen in Berliner Gefängnissen eingepfercht sind, beschweren sich – ganz zu Recht: der Berliner Justizsenat praktiziert einen Vollzug, der Gesetze missachtet, vorsätzlich die Sicherheit der Bevölkerung gefährdet und weder wissensbasiert, noch human, noch sozialstaatlich mit seinen Gefangenen umgeht. Und die Folgen werden sich nicht nur auf Klagewellen, Hungerstreiks und Gefängnisrevolten beschränken, sondern verfehlte Strafvollzugspolitik schadet jedem Berliner Bürger!
Fernab von populistischer Berichterstattung über den zum 5-Sterne-Hotel hochstilisierten Gefängnisneubau (JVA Heidering) praktiziert der Berliner Justizsenat einen Strafvollzug, der bewährte und gesetzlich geforderte Maßnahmen der Straftäterbehandlung nicht bzw. nur eingeschränkt anwendet.
Gefangene, Rechtsanwälte, Organisationen der Straffälligenhilfe, Beiräte und Wissenschaftler rügen den Berliner Strafvollzug:
-          Lockerungen werden allenfalls wie Goldstaub gewährt: die Lockerungsquote ist im Geschlossenen Vollzug in Berlin im Jahr 2012 massiv reduziert worden. Gründe hierfür sind nicht erkennbar – im Gegenteil: Lockerungen sind bewährtes Behandlungsinstrument, gesetzlich verankert und erhöhen erwiesenermaßen nachhaltig die Sicherheit der Bevölkerung!
-          Vorzeitige Entlassungen zum sogenannten 2/3-Zeitpunkt, die das Strafgesetzbuch als wichtiges Instrument benennt, werden in Berlin außerordentlich selten gewährt. U.a. bedeutet dies unnötige Kosten für den Steuerzahler – diese Gefangenen sind bereits wieder temporär frei, ein langer Verbleib im Offenen Vollzug über den 2/3-Zeitpunkt hinaus ist – sofern keine besonderen Gründe im Einzelfall vorliegen – nicht angezeigt.
-          Berlin hat unlängst die Doppelbelegung wieder eingeführt, mehrere Gefangene werden in einer Zelle eingepfercht. Gerichte haben dies immer wieder gerügt – trotzdem kehrt der Berliner Justizsenat zu dieser Praxis zurück.
-          Ersatzfreiheitsstrafer werden im Geschlossenen Vollzug untergebracht: Bürger, die eine Geldstrafe absitzen, werden neuerdings vermehrt im Hochsicherheits-Knast eingekerkert – dies führt nicht nur zu angespannter Belegungssituation, sondern ist Ausdruck besonderer Gnadenlosigkeit und Härte.
-          Im Gefängnis sollen Menschen mit Fehlern und Schwächen so behandelt werden, dass sie nach Verbüßung ihrer Strafe und Entlassung ein normales Leben ohne Straftaten führen (können). Nicht nur das Gesetz schreibt es dem Vollzug ins Aufgabenheft, sondern auch gesunder Menschenverstand legt es nahe und die Bevölkerung fordert es zu Recht: Straftaten müssen verhindert werden – hierzu braucht es jedoch die sogenannte Behandlung. Der Berliner Justizsenat jedoch beschäftigt für diese Aufgabe aktuell nur noch eine einzige Person für ca. 50-60 Gefangene.
Es ist bald ein Jahrzehnt her, dass in einem deutschen Gefängnis revoltiert wurde – im damals CDU-regierten Hamburg praktizierten Innensenator Schill und Justizsenator Kusch einen gesetzeswidrigen, hirnverbrannten, widerlichen StrafvollzugKusch und Schill sind in der Gosse gelandet, der Strafvollzug musste in Hamburg mühsam wieder so aufgebaut werden, dass er das Gesetz einhält, Sinn macht und Einzelne und Bevölkerung nicht beschädigt.
Sehr geehrter Herr Senator Heilmann – die Gefangenen bitten darum,
-          die gesetzlich nicht gestattete Doppelbelegung unverzüglich zu beenden,
-          Ersatzfreiheitsstrafer nicht im Hochsicherheitsknast unterzubringen, sondern zu entlassen,
-          Sozialarbeiter für die Ihnen zur Behandlung anvertrauten Gefangenen in ausreichender Zahl zu beschäftigen,
-          Lockerungen gesetzestreu zu gewähren,
-          mit vorzeitigen Entlassungen den Steuerzahler zu entlasten,
-          Vollzugskonzepte anzuwenden, die der Erreichung des Vollzugszieles dienlich sind
Kurzum: Senator Heilmann – lassen Sie den Berliner Strafvollzug nicht in der Gosse landen!
Und wieso:
-          beginnen Sie jetzt  in der JVA Moabit Baumaßnahmen, die zu gesetzeswidriger Doppelbelegung führen?;
-          wollen Sie Umbauten für die Sicherungsverwahrten vornehmen, die diese selbst nicht wollen, viel Geld kosten und zu Beeinträchtigungen für alle Gefangenen in der JVA Tegel führen?;
-          beschäftigen Sie Sozialarbeiter nicht weiter, sondern setzen diese vor die Türe?;
-          wollen Sie für Unruhe sorgende, unsinnige Verlegungsorgien veranstalten?;
-          schließen Sie jetzt das Gefängnis in der Lehrter Straße und bringen deshalb bspw. Ersatzfreiheitstrafer teuer und grauslich im Hochsicherheitsknast unter?
Die Berliner Gefangenen kündigen Hungerstreik und Revolte an! Wenden Sie diese selbstverschuldete Katastrophe ab, halten Sie sich an das Gesetz und schädigen Sie die Bevölkerung nicht!
Die Redaktionsgemeinschaft „der lichtblick“, die Gesamtinsassenvertretung der JVA Tegel, die Gesamtverwahrtenvertretung
Gefangenenzeitung
der lichtblick
Seidelstraße 39
D-13507 Berlin
fon +49 (30) 90 147 2329
fax +49 (30) 90 147 2329
mail:gefangenenzeitung-lichtblick@jva-tegel.de
internet: www.lichtblick-zeitung.de

„der lichtblick“ gewährt Blicke über hohe Mauern und durch verriegelte Türen. Er versteht sich als Sprachrohr der Gefangenen: Er macht auf Missstände aufmerksam und kämpft für einen humanen, sozialstaatlichen und wissensbasierten Strafvollzug. Oft nimmt er eine vermittelnde Position zwischen dem Resozialisierungsanspruch der Gefangenen und dem Schutzbedürfnis der Bevölkerung ein; dass das Eine das Andere befördert und verstärkt, kann gar nicht oft und deutlich genug betont werden. Neben kriminal- und strafvollzugspolitischem Engagement initiiert „der lichtblick“ „Berührungen“ zwischen drinnen und draußen und fungiert als Kontaktstelle. Nicht zuletzt ist „der lichtblick“ die Lieblingszeitung vieler Insassen – und wird auch von Justiz, Politik und Wissenschaft gelesen.
Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit – gerne mit Spenden, aber auch ideeller Zuspruch ist uns sehr willkommen: schreiben Sie uns eine E-Mail, erhalten Sie regelmäßig das Neueste von drinnen und gestalten Sie unsere Gesellschaft – deren Umgang mit Delinquenz – mit!
Gefangenenzeitung
der lichtblick
Seidelstraße 39
D-13507 Berlin
fon +49 (30) 90 147 2329
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mail:gefangenenzeitung-lichtblick@jva-tegel.de
internet: www.lichtblick-zeitung.de


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Update vom 6. Dezember ...
>> Aktualisierung der gestrigen Mitteilung der Gesamtinsassenvertretung der JVA Tegel, der Gesamtverwahrtenvertretung und der Redaktionsgemeinschaft „der lichtblick“
Nunmehr können wir heute erfreulicherweise vermelden, dass die „Doppelbelegung“ (mehrere Insassen auf einer Zelle) in der Teilanstalt VI der JVA Tegel beendet ist.
Des Weiteren werden Sozialarbeiter wohl zumindest vorübergehend nicht entlassen.
Zudem erklären wir: unsere Mitteilung sollte nicht skandalisierend wirken und beinhaltete selbstverständlich keinen Aufruf zu einem Hungerstreik oder gar zur Revolte. Im Gegenteil: als Sprachrohr der Gefangenen und als Ventil haben wir mit unserer Mitteilung Missstände benannt, damit gegengesteuert werden kann und es eben nicht zum Äußersten kommt.

Der Eklat jedoch wird von unseren Mitgefangenen nach wie vor deutlich benannt: Sie sagen uns, dass sie, finden die angekündigten Verlegungen statt, sie passiven Widerstand leisten werden (wörtlich: „Dann werden sie uns aus unseren Zellen tragen müssen und wir werden das Essen verweigern!“)
   Zudem informieren sie uns darüber, dass sie, sollte Berlin sich vom Strafvollzugsgesetz (u.a. bzgl. Lockerungen, 2/3-Entlassung, Behandlung) weiter abwenden und entfernen, dagegen mit allen Mitteln kämpfen werden.


Die Redaktionsgemeinschaft „der lichtblick“, die Gesamtinsassenvertretung der JVA Tegel, die Gesamtverwahrtenvertretung
Gefangenenzeitung
der lichtblick
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D-13507 Berlin
 
fon +49 (30) 90 147 2329
fax +49 (30) 90 147 2329
mail:gefangenenzeitung-lichtblick@jva-tegel.de
internet: www.lichtblick-zeitung.de

„der lichtblick“ gewährt Blicke über hohe Mauern und durch verriegelte Türen. Er versteht sich als Sprachrohr der Gefangenen: Er macht auf Missstände aufmerksam und kämpft für einen humanen, sozialstaatlichen und wissensbasierten Strafvollzug. Oft nimmt er eine vermittelnde Position zwischen dem Resozialisierungsanspruch der Gefangenen und dem Schutzbedürfnis der Bevölkerung ein; dass das Eine das Andere befördert und verstärkt, kann gar nicht oft und deutlich genug betont werden. Neben kriminal- und strafvollzugspolitischem Engagement initiiert „der lichtblick“ „Berührungen“ zwischen drinnen und draußen und fungiert als Kontaktstelle. Nicht zuletzt ist „der lichtblick“ die Lieblingszeitung vieler Insassen – und wird auch von Justiz, Politik und Wissenschaft gelesen.
Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit – gerne mit Spenden, aber auch ideeller Zuspruch ist uns sehr willkommen: schreiben Sie uns eine E-Mail, erhalten Sie regelmäßig das Neueste von drinnen und gestalten Sie unsere Gesellschaft – deren Umgang mit Delinquenz – mit!
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