Von Washington über Chicago nach Portland/Oregon braucht es (mit Fliegerwechsel in Chicago) etwa 12
Stunden (allerdings kommen noch drei Stunden Zeitverschiebung hinzu, denn im
Nordwesten, an der Westküste, beträgt der Zeitabstand nun insgesamt schon 9 Stunden
im Vergleich zu Berlin). Kevin und Lisa holen mich ab, und obwohl ich Kevin
gute 23 Jahre nicht gesehen habe, erkennen wir uns sofort wieder. Ihre Wohnung
entpuppt sich als geräumiges kleines Townhaus, das zu einer größeren Anlage
gehört, die im modernen Betonbaustil von außen wenig spektakulär aussieht.
Innen jedoch gibt es viel Platz und sehr viel Licht und erstaunlicher Weise
blicken die wandgroßen Wohnzimmerfenster hinter dem freistehenden modernen
Kamin in einen kleinen Wald, den man draußen gar nicht wahrnimmt: Jede Menge Vögel
und Squirrels geben sich auf dem Balkon ein munteres Stelldichein.
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Das Frühstück am nächsten
Morgen gibt es in einem großen Café, dass es so auch in Kreuzberg geben könnte:
Es ist laut und voll und multikulturell eingerichtet und das Angebot an
Bio-Leckereien aller Art ist riesig. Später fahren wir auf die bewaldeten
Hügel, die es hier mitten in der Stadt gibt und blicken vom japanischen Garten
aus auf eine quirlige, ziemlich kleinteilige Großstadt entlang des Willamette und des Columbia Rivers. Portland ist wunderbar grün, es gibt zwischen den
umliegenden Bergen sogar Stadtteile, die regelmäßig von den Cougars, den hiesigen Berglöwen, besucht
werden und deswegen partiell gesperrt werden müssen. Das Klima ist mild und ausgewogen,
kaum Hitze, kaum Kälte, und die Nähe der Vulkankette um den nahen Mt. St.
Helens sorgt für einen äußerst fruchtbaren Boden. Portland entpuppt sich als
die Hauptstadt der alternativen Szene Nordamerikas; Kevin meint, seit San Franzisco
teuer und kommerziell geworden ist, fliehen vor allem Künstler, Denker und Studenten
hierher, in die Hauptstadt des nordwestlichen Ökotopias von Cascadia. Man spürt hier neben einem
sehr zivilen europäischen Geist auch die Einflüsse des nahen Kanadas und – zu
meinem Erstaunen – Japans. Dies ist eindeutig eine pazifische Stadt. Hier
entstehen die neuesten Ökotrends: Weil es wenig große Industrie gibt, entstand
ein Gewimmel an Kleinstunternehmen und Startups mit den phantasievollsten
Ideen, und der hiesige Lebensstil unterscheidet sich deutlich vom
amerikanischen Klischee: Es gibt Fahrradwege und Straßenbahnen, kurze Wege und
unglaublich gutes und vielfältiges Essen (nicht nur in den Cafés und
Restaurants, sondern auch an den Hunderten Food Trucks, die hier überall an den
Ecken stehen). Es gibt eine landesweit berühmte Comedy-Filmserie, die den
einflussreichen Lebensstil dieser amerikanischen Alternativmetropole aufs Feinste verulkt: Portlandia könnte
zu weiten Teilen auch eine Satire auf die Bewohner des Prenzlauer Berges sein.
(Kein Wunder, dass ich mich hier sehr zuhause fühle. Nur dass diese Stadt hier
etwas übersichtlicher ist als Berlin und zudem noch eine großartige Natur und
vor allem eine spektakuläre Landschaft hat!) Meine Lesung an der Portland State University jedenfalls (in
einem großen Hörsaal mit Zuhörern von sehr jung bis Seniorenalter) wird trotz
technischer Probleme ein voller Erfolg, den wir anschließend in einer der
besten Seafood-Kneipen der Stadt, der alten Oyster Bar begießen.
Am Nachmittag fahren wir
hinunter und umrunden den Mt Hood auf einer Landstraße, die durch malerische
Obstfarmen zum mighty Columbia River
und hinüber in den Bundesstaat Washington führt. Auf der anderen Seite des
Flusses ändert sich die Landschaft schlagartig: Langgestreckte dunkle Felsplateaus
erheben sich rechts und links des Canyons (des Columbia Gorges), die Natur wird karg und weitflächig – statt
mächtiger grüner Bäume nur noch sonnenblondes Steppengras. Und irgendwann sehen
wir auf den sonnenbeschienenen Grashügeln tatsächlich Büffel grasen.
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