Die Zeitverschiebung (zu
den sechs Westküstenstunden nun zwei weitere Stunden nach Westen) lässt mich
gegen 4 Uhr Ortszeit wach werden (in D ist ja längst Mittag), dann lese und
schreibe ich, bis ich gegen zehn Ortszeit hinunter in die große Wohnküche mit Kamin
und Terrasse gehe, um einen Kaffee zu trinken und mit Wolfgang bei
Käse-Omelette und Toast die deutsch-amerikanischen und Welt-Probleme seit dem
zweiten Weltkrieg diskutiere (insbesondere jedoch sein eigenes Schicksal: das
eines Kriegskindes, das weder in Deutschland noch in Amerika gewollt wurde und
es dennoch weit gebracht hat). Dann umrunde ich das Haus und entdeckte das
legendäre Pikes Peak in den Rockys, dessen schneebedeckten Gipfel man
eigentlich sogar vom Fenster meines Zimmers aus sehen kann.
Mittags holt mich
Teresa zu einem Lunch mit den Dichtern und Denkern der Uni in einem netten
französischen Restaurant, darunter eine ausgezeichnete Deutschstudenten, einige
Kunst-und Sprachdozentinnen, aber auch der österreichisch-amerikanische Chef
des Deutschdepartments oder der Theaterchef der Uni (der gerade die Premiere
eines Stückes namens „Psycho Beach“ vorbereitet). Wir essen und plaudern, ich
komme gar nicht dazu, wirklich alle Geladenen kennenzulernen, aber die Atmosphäre
ist heiter und aufgeschlossen.
Nach etwa zwei Stunden fährt mich Teresa ein
wenig zur Stadt hinaus und dann wird es richtig interessant, denn wir kommen zu
den Garden of the Gods, einer
atemberaubenden Felsenlandschaft aus rotem Sandstein und grauem Granit, die
einst ein heiliger Ort der hiesigen Indianer (sag nicht Indianer, sag american
natives!) war. Wir schlendern die Wege entlang, kommen von einer
erstaunlichen Aussicht zur nächsten und diskutieren die Frage, warum jeder von
diesen wunderbaren Felsen fasziniert sein muss, obwohl sie doch nicht nützlich
sind – woher kommt dieses allgemeine, unbestreitbare und unmittelbare
Empfinden, es hier mit etwas SCHÖNEM zu tun zu haben?
Zwischen den Felsen, auf
den trockenen Wiesen mit den sonnenresistenten, wachholderartigen Gehölzen
tummeln sich relativ zutraulich musikalische Elstern, leuchtend flinke Blue
Birds sowie zwei vorsichtige Hirschkühe. Die goldrote Sonne macht unsere
Schatten lang und lässt die trockene Luft sanft nach Kräutern riechen. Später
bewundere ich die schönen Holzhäuschen unter den Bäumen der Berghänge von Manitou Springs, einem kleinen alten
Kurort, der auch in einem europäischen Mittelgebirge liegen könnte.
Doch als
wir schließlich wieder im Auto durch die Stadt rollen, vorbei am alten Rathaus
von Colorado Springs und mitten durch die breitgezogene, flache Mitte dieser
geräumigen Stadt, wird mir klar, was mich an diesem Land bislang am meisten beeindruckt:
Nicht die abenteuerliche Geschichte, nicht die schönen Gebäude und auch nicht
die energetischen, zugewandten Leute, sondern die Landschaften. Die Landschaften
hier haben wirklich eine neue Dimension, und die Leute wissen sie zu schätzen
und sich in ihnen einzurichten. So zumindest sehe ich God’s own country in dem Moment, als ich aus den Gardens of Gods von Colorado Springs
heimkehre.
Am Abend fahren wir durch die hereinbrechende
Dämmerung, die die Lichter der Ebene vor dem majestätischen, dunklen Band der
Rocky Mountains unter dem dunkelblauen Himmel flimmern lässt. Teresa biegt
plötzlich in einen sandigen Seitenweg und im Schritttempo fahren wir auf einer
buckeligen Staubpiste durch lichtlose Steppenwildnis. Nach ein paar Minuten
erreichen wir einen unbeleuchteten Parkplatz und ich frage mich, wie hier
jemals irgendjemand hinfinden soll. Denn in wenigen Minuten soll ja mein poetry reading, die Lyriklesung
stattfinden, um die mich Teresa gebeten hat.
Hinter einigen Büschen tauchen
Lichter auf - die Heller Ranch, ein
kleines Anwesen, dass eine reiche Fabrikantenfamilie der hiesigen Uni vermacht
hat und das nun als Kulturzentrum genutzt wird.
Doch tatsächlich sind schon ein
paar Leute da, und neue treten aus dem Dunkel hinzu. Drinnen versammeln wir uns
alle in einem großen Raum um einen riesigen Tisch, die niedrige Decke besteht
aus wuchtigen Balken, an den Wänden hängen Gemälde mit orientalischen Szenen im
zuckersüßen Hollywoodstil (vom einstigen Besitzer Mr. Heller gemalt). Mit etwa
dreißig, fünfunddreißig Zuhörern (Studenten, Dozenten, local poets) ist der
Raum irgendwann komplett gefüllt und wir schalten den Screen ein, auf dem man
die Texte der Gedichte in beiden Sprachen mitlesen kann. Zunächst stelle ich
mich vor, dann lese ich mit
Erläuterungen etwa eine Stunde und anschließend werden Fragen beantwortet, ein
angenehmer Abend auf der Heller Ranch von Colorado Springs (der wie üblich noch
in längeren Diskussionen mit einzelnen Leuten mündet). Robert von Dassanowsky,
der deutsch-österreichische Leiter der hiesigen Deutschabteilung, liest die
englischen Fassungen und wie zu erwarten gibt es vor allem Szenenapplaus, als
wir schließlich das Gedicht „Malaria“ in beiden Sprachen gleichzeitig lesen.
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