Dienstag, 21. Oktober 2014

Amerika 3 - Steine, Schlangen, lange Schatten



Die Zeitverschiebung (zu den sechs Westküstenstunden nun zwei weitere Stunden nach Westen) lässt mich gegen 4 Uhr Ortszeit wach werden (in D ist ja längst Mittag), dann lese und schreibe ich, bis ich gegen zehn Ortszeit hinunter in die große Wohnküche mit Kamin und Terrasse gehe, um einen Kaffee zu trinken und mit Wolfgang bei Käse-Omelette und Toast die deutsch-amerikanischen und Welt-Probleme seit dem zweiten Weltkrieg diskutiere (insbesondere jedoch sein eigenes Schicksal: das eines Kriegskindes, das weder in Deutschland noch in Amerika gewollt wurde und es dennoch weit gebracht hat). Dann umrunde ich das Haus und entdeckte das legendäre Pikes Peak in den Rockys, dessen schneebedeckten Gipfel man eigentlich sogar vom Fenster meines Zimmers aus sehen kann. 

Mittags holt mich Teresa zu einem Lunch mit den Dichtern und Denkern der Uni in einem netten französischen Restaurant, darunter eine ausgezeichnete Deutschstudenten, einige Kunst-und Sprachdozentinnen, aber auch der österreichisch-amerikanische Chef des Deutschdepartments oder der Theaterchef der Uni (der gerade die Premiere eines Stückes namens „Psycho Beach“ vorbereitet). Wir essen und plaudern, ich komme gar nicht dazu, wirklich alle Geladenen kennenzulernen, aber die Atmosphäre ist heiter und aufgeschlossen. 

Nach etwa zwei Stunden fährt mich Teresa ein wenig zur Stadt hinaus und dann wird es richtig interessant, denn wir kommen zu den Garden of the Gods, einer atemberaubenden Felsenlandschaft aus rotem Sandstein und grauem Granit, die einst ein heiliger Ort der hiesigen Indianer (sag nicht Indianer, sag american natives!) war. Wir schlendern die Wege entlang, kommen von einer erstaunlichen Aussicht zur nächsten und diskutieren die Frage, warum jeder von diesen wunderbaren Felsen fasziniert sein muss, obwohl sie doch nicht nützlich sind – woher kommt dieses allgemeine, unbestreitbare und unmittelbare Empfinden, es hier mit etwas SCHÖNEM zu tun zu haben? 

Zwischen den Felsen, auf den trockenen Wiesen mit den sonnenresistenten, wachholderartigen Gehölzen tummeln sich relativ zutraulich musikalische Elstern, leuchtend flinke Blue Birds sowie zwei vorsichtige Hirschkühe. Die goldrote Sonne macht unsere Schatten lang und lässt die trockene Luft sanft nach Kräutern riechen. Später bewundere ich die schönen Holzhäuschen unter den Bäumen der Berghänge von Manitou Springs, einem kleinen alten Kurort, der auch in einem europäischen Mittelgebirge liegen könnte. 


Doch als wir schließlich wieder im Auto durch die Stadt rollen, vorbei am alten Rathaus von Colorado Springs und mitten durch die breitgezogene, flache Mitte dieser geräumigen Stadt, wird mir klar, was mich an diesem Land bislang am meisten beeindruckt: Nicht die abenteuerliche Geschichte, nicht die schönen Gebäude und auch nicht die energetischen, zugewandten Leute, sondern die Landschaften. Die Landschaften hier haben wirklich eine neue Dimension, und die Leute wissen sie zu schätzen und sich in ihnen einzurichten. So zumindest sehe ich God’s own country in dem Moment, als ich aus den Gardens of Gods von Colorado Springs heimkehre.
   
Am Abend fahren wir durch die hereinbrechende Dämmerung, die die Lichter der Ebene vor dem majestätischen, dunklen Band der Rocky Mountains unter dem dunkelblauen Himmel flimmern lässt. Teresa biegt plötzlich in einen sandigen Seitenweg und im Schritttempo fahren wir auf einer buckeligen Staubpiste durch lichtlose Steppenwildnis. Nach ein paar Minuten erreichen wir einen unbeleuchteten Parkplatz und ich frage mich, wie hier jemals irgendjemand hinfinden soll. Denn in wenigen Minuten soll ja mein poetry reading, die Lyriklesung stattfinden, um die mich Teresa gebeten hat. 

Hinter einigen Büschen tauchen Lichter auf - die Heller Ranch, ein kleines Anwesen, dass eine reiche Fabrikantenfamilie der hiesigen Uni vermacht hat und das nun als Kulturzentrum genutzt wird. 

Doch tatsächlich sind schon ein paar Leute da, und neue treten aus dem Dunkel hinzu. Drinnen versammeln wir uns alle in einem großen Raum um einen riesigen Tisch, die niedrige Decke besteht aus wuchtigen Balken, an den Wänden hängen Gemälde mit orientalischen Szenen im zuckersüßen Hollywoodstil (vom einstigen Besitzer Mr. Heller gemalt). Mit etwa dreißig, fünfunddreißig Zuhörern (Studenten, Dozenten, local poets) ist der Raum irgendwann komplett gefüllt und wir schalten den Screen ein, auf dem man die Texte der Gedichte in beiden Sprachen mitlesen kann. Zunächst stelle ich mich vor,  dann lese ich mit Erläuterungen etwa eine Stunde und anschließend werden Fragen beantwortet, ein angenehmer Abend auf der Heller Ranch von Colorado Springs (der wie üblich noch in längeren Diskussionen mit einzelnen Leuten mündet). Robert von Dassanowsky, der deutsch-österreichische Leiter der hiesigen Deutschabteilung, liest die englischen Fassungen und wie zu erwarten gibt es vor allem Szenenapplaus, als wir schließlich das Gedicht „Malaria“ in beiden Sprachen gleichzeitig lesen.  



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