Mr Keith Warner lehrt Soziologie an
der Uni von Colorado Springs und lud mich ein, in seinem Seminar über
"große soziale Umbrüche" von 1989 zu erzählen (und wie es uns Ossis
damit erging). Teresa musste mich aus dem Seminar holen, denn es war Zeit für
eine Verabredung mit ein paar netten Leuten in einem europäischen Restaurent
mit hervorragendem Essen. Die Lesung am gleichen Abend auf dem Campus fand vor
zweisprachigem Publikum statt und auch wenn das Publikum den Hörsaal nur locker
füllte, war es doch das erste Mal, dass ich danach standing ovations
erlebte. Die Herzlichkeit und aufmerksame Zugewandtheit der Anwesenden
überraschte mich durchaus. Danach gingen wir bald zu Bett, denn am nächsten Morgen brachte mich
Teresa schon gegen sechs zum Flughafen. Im üblichen Reisekoma gelangte ich mit
einem geruhsamen Lokalflug nach Chicago, wo ich eine Stunde Zeit zum Umsteigen
hatte und rasch einen amerikanischen Lunch "hatte" (d.h. ein dickes Beef-Sandwich und
große Cola mit gaanz viel Eis). Eigentlich dachte ich von Chicago gar nichts sehen zu können, aber beim
Take off flogen wir bei bestem Wetter in weitem Bogen über die Stadt und ich
sah unter mir eine angenehm wimmelnde Skyline auftauchen, deren
Wolkenkratzer in einem Distrikt am Ufer des großen blauen Sees (Lake Michigan) kulminierten
und irgendwie einen heiteren und einladenden Eindruck machten. (Leider war die Kamera
in diesem Moment unerreichbar verstaut.) Dann waren wir auch schon über dem riesiegen
See und ich sah weit unter mir kleine Herden von Schönwetterwölckchen dicht über
den See hasten und dabei kleine Schatten auf die gekräuselte Oberfläche des Wassers
werfen: Sie hatten es offenbar eilig, dort unten in Hunderten Grüppchen irgendwo
hinzukommen (vielleicht zu einer großen Wolkenversammlung?), während ich in
meinem proppevollen Lokalflieger weit oben gemütlich Richtung Washington brummte.
Als ich beim Anflug auf Washington erwachte, prasselte feinster Nieselregen gegen
die Fenster und wir schwebten bereits in einer dichten weißen Wolkensuppe.
Ruckzuck bekam ich jedoch (wie bei allen amerikanischen Inlandflügen) meinen Koffer
direkt aus dem Bauch der Maschine direkt in den Gangway gereicht und suchte mir vor
dem National Airport ein Taxi, mit dem mich ein schweigsamer riesiger Schwarzer
(dessen Kopf beinahe am Autodach rieb) im Berufsverkehr durch die grünen
Waldhügel rund um die Innenstadt hinauf nach Silver Springs brachte, wobei er
unentwegt nervös auf seinem lederumspannten Lenkrad trommelte, als sei es ein
Satz karibischer Congas. Nach dem Einchecken konnte ich feststellen, dass ein
hartnäckiges Gerücht über die amerikanischen Hotels tatsächlich stimmt: Es gibt
hier keinen 13. Stock! Mein Zimmer lag im 16. (Also 15.) Tja.
Bald schon holte mich Katharina Rudolf ab und
brachte mich bei Nieselwetter zur Catholic University of America,
die mich eingeladen hatte und wo abends ein Forumsgespräch zum Thema Mauerfall
stattfand. Auf dem Campus befindet sich deutlich sichtbar auch die größte katholische Kirche der USA (The National Shrine!),
ein historistischer Bau, der auf interessante Weise Merkmale der Ost- wie der
Westkirche in sich vereint, gewissermaßen ein byzantinisches Rom mit der romantischen
Klarheit des späten amerikanischen 19. Jahrhunderts imaginierend. (Im ästhetischen Ansatz der pseudoauthentischen Märchenarchtitektur der Berliner Neuen Synagoge aus derselben Zeit nicht ganz unähnlich.) Im Foyer des
Vorlesungsgebäudes gab es an diesem Abend deutsche Gadgets und Imbisshappen; etliche Studenten
sowie eine Expertengruppe der deutschen Botschaft trafen ein und wir machten
uns bekannt, ehe für über zwei Stunden sehr emotional und kontrovers zum Thema
deutsche „Wende“ und die Folgen diskutiert wurde. Später versackten wir deutschen Gäste und die amerikanischen
Experten noch in einem Restaurant um die Ecke.
Nachdem wir am nächsten Morgen meine
Formalitäten auf dem Campus geregelt hatten, fuhr mich Katharina mit ihrem
Auto kreuz und quer durch „D.C.“, um mir einen ersten Eindruck von der
Hauptstadt zu verschaffen. In der Tat trägt die Politik des Raumes in Washingtons Innenstadt neorömische Züge – kilometerweite
Grünanlagen durchziehen zwischen zwei schnurgeraden Prachtavenues das Gelände, auf denen unter einem hohen Himmel
weiträumig verstreut große Prachtbauten mit riesigen Treppenaufgängen und
gigantischen Säulen aus strahlen weißen Steinen die Menschlein wie Orientierung
suchende Ameisen aussehen lassen... zum Glück sind Macht und Größe von viel Grün und Wasser durchzogen, das macht es natürlicher und lässt die Füße in dieser Weite angenehm irdisch schmerzen.
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Das Weiße Haus im repräsentativen Herzen der Stadt war weiträumig abgesperrt (am Vortag hatte wieder
einmal ein Verrückter den Zaun überklettert und wollte zu Obama ins Oval Office
vordringen), auf den Wiesen am Washington Monument trainierte ein American Football Team und am Lincoln Memorial
konnte ich in der staunenden Menge neben Russisch und Mandarin auch
die sächsische Mundart heraushören. Die vielen beeindruckend großen Museen der Smithsonian Stiftung ringsum jedoch wollte ich mir (trotz freiem Eintritt) für ereignisärmere Tage aufheben.
Vor allem thronte breit und erhaben das Capitol - allerdings mit unfeierlich eingerüsteter Kuppel, was dem Ganzen einen Hauch vom Berliner Endlos-Baustellen-Charme verlieh. (Überhaupt erschien mir Washingtons Atmosphäre in gewisser Weise der von Berlin zu gleichen - alles recht nüchtern, massentauglich, offiziell; nur eben zwei, drei Nummern größer... )
Später sahen wir uns noch die legendäre M street (und den Campus der Georgetown University) in einem höher gelegenen Stadtteil an, dessen kleine Häuser und Einkaufstraßen einen bedeutend menschenfreundlicheren Eindruck machten, und gingen am Dupont Circle in einem eher stadteinwärts gelegenen Ausgehviertel essen.
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Später sahen wir uns noch die legendäre M street (und den Campus der Georgetown University) in einem höher gelegenen Stadtteil an, dessen kleine Häuser und Einkaufstraßen einen bedeutend menschenfreundlicheren Eindruck machten, und gingen am Dupont Circle in einem eher stadteinwärts gelegenen Ausgehviertel essen.
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Meine
Lesung in einem Hörsaal der modernen Fremdsprachen der CUA lief ähnlich
wie in Colorado: Zuerst sahen wir den kurzen Film der BBC über meine Erfahrungen am 9. Oktober 1989 (siehe hier), dann las ich einige der eigens
übersetzten Passagen aus „Rabet“; allerdings hatten die Studenten in Washington tatsächlich
schon fast den ganzen Roman auf Deutsch (!) gelesen und sich mit den politischen
und sprachlichen Hintergründen des Textes befasst, sodass eine fast schon familiäre
Atmosphäre entstand. (Im Raum hing zu meiner Überraschung übrigens eine
Deutschlandkarte aus dem Jahr 1995 von Justus Perthes Gotha.) Gemeinsam mit Katharina Rudolf brachte mich die
norddeutsch-handfeste Fakultätsdekanin Claudia Bornhold anschließend erfreulicherweise noch nach Mount Pleasant (dessen kleinteiligere und multikulturellere Amtosphäre mir Washington
schlagartig um einiges sympathischer werden ließ), wo wir im gemütlichen MARX Café (sic) noch ein revolutionäres Abendessen genossen und uns aufs Angenehmste unsere
Geschichten erzählten...
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