Santiago –
Freitag/Samstag, 16./17. November
Anschließend zieht der Tross im längeren
Fußmarsch ins Rapa Nui, einer
angesagten Eckkneipe dieser Gegend, deren Beliebtheit sich für einen Außenstehenden
nicht wirklich erklären lässt, die aber alle Eigenschaften einer guten
Santiagoer In-Kneipe aufweist: Es ist rappelvoll (man muss irgendwo auf einem
Eckchen stehen, Sitzplätze sind definitiv nicht zu bekommen) und extrem hallig
und laut (man redet hier prinzipiell lauter als in Berlin), es gibt aber außer
Leuten nichts zu sehen. Beste Voraussetzungen also für einen
Nicht-Spanischsprechenden, ein paar Kommunikationsschwierigkeiten zu bekommen. Zum Glück
finden sich eine Dichterin und zwei Maler, die bei einer Piscola und
Dörrfleischsandwiches auch dicht an dicht stehend und mit ständiger Übersetzung
eine lange Diskussion mit mir führen wollen; es geht vor allem um Chile und
seine europäischen Einflüsse - die mir zumindest in Santiago stärker zu sein
scheinen, als den Chilenen bewusst ist (vor allem findet man hier atmosphärisch
das alte Europa wieder, das „Gendarmenmarkt-Europa“
, das in Berlin, bedingt durch die Verheerungen zweier Kriege, kaum noch aufzufinden
ist), im Rest des durch die Kultur- und Klimazonen langgestreckten Landes mag
das anders sein. Wieder höre ich etliche Familiengeschichten mit deutschen
Komponenten; Namen wie Gonzales-Peschel mögen sich für unsere Ohren seltsam
anhören, sind in diesem Land aber offenbar sehr gewöhnlich, ja fast Standard. Was nicht
heißt, das Leute mit solchen Namen dann auch Deutsch sprechen können (in der Regel
eher nicht).
Am Samstag mache ich mich dann mit der Metro
auf zum Busbahnhof; von dort fahren billige und sehr bequeme
Überlandbusse – meiner bringt mich an die Pazifikküste: Nach Valparaíso. Der Weg
auf dem Highway hinaus aus der Stadt führt in trockenes Bergland; die Sonne
strahlt – ein perfekter Tag für einen Ausflug ans Meer. Überall an den Hängen
und Straßenrändern blüht der sonnengelbe Andenmohn in allen Schattierungen, dazu
die Blütenteppiche wilder Kapuzinerkresse – was für wunderbare Farbteppiche in
der an sich staubbraunen Landschaft. Überhaupt: Die Farben der Blüten sind hier generell sehr kräftig und klar, strahlendes Pink, knalliges Gelb, leuchtendes Rot, bei uns sieht
das zarter aus. Als meinten die Blumen hier: Wenn schon in dieser kargen
Landschaft blühen, dann aber richtig. Vielleicht liegt es ja auch an dem kräftigen
Wind, der hier unentwegt zwischen den Bergen weht. Es gibt deswegen auch auffallend
wenige Insekten – angenehm für uns, aber vermutlich problematisch für die Pflanzen.
Da müssen sie sich etwas einfallen lassen: Hier sind die Farben! Denn eigentlich weht hier immer ein recht kühler Wind (morgens muss man sich für
draußen wirklich warm anziehen), aber die Sonne scheint gleichzeitig auch sehr kräftig. Dieser
Kontrast zwischen kaltem Gebirgswind und der heißen Sonne der südlichen
Subtropen scheint typisch für diese Gegend zu sein. Man
kann sich hier also richtig erkälten und gleichzeitig einen Sonnenbrand bekommen.
Die Bussitze sind so bequem
und der Bus tuckert so sanft auf der sonnenbeschienenen Landstraße Richtung
Küste, dass ich unwillkürlich einnicke und als ich wieder aufwache, fahren wir
schon in Valparaíso ein. Ringsum sanfte Hügel, die über uns über mit
kleinen Häuschen in allen erdenklichen Farben bebaut sind. Unten in der Stadt
ein Straßen-Flohmarkt, auf dem gebrauchte Kleidung gehandelt wird. Ich
steige ausgeruht aus dem Bus und springe in ein Taxi, das mich bereitwillig
hinauf in die Hügel fährt und vor La Sebastiana wieder ausspuckt. Zwar ist
der hiesige Direktor der Fondacion Pablo Neruda heute nicht im Haus, da Samstag
ist, aber ich bin eingeladen, Nerudas Haus in Valparaíso auf eigene Faust zu
erkunden… Der chilenische Weltstar der Poesie wusste, wie man es sich
schön macht: Noch mehr als das Haus in Santiago erscheint der winklige, fünfstöckige
Bau wie ein Schiff – und diesmal kann man auch tatsächlich aufs Meer
blicken. Unter uns erstreckt sich die Bucht von Valparaíso – der Pazifik! (Jetzt
bin ich tatsächlich an der westlichsten Kante der eurozentrischen Landkarten
angelangt… und winke mir in Gedanken selbst über den Pazifik zu, als ich zwei Jahre zuvor
am Ostkap von Biak in Papua den bis dato östlichsten Punkt meiner Reisen
erreichte… Fehlt nur noch die weite, heiße Südsee, dann habe ich den Globus peu
a peu umrundet. Kein ganz schlechter Gedanke!)
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Valparaíso ist ein Traum, denn die
Hügel hinunter zur weiten Hafenbucht sind mit so bizzar bunten Häuservierteln
bedeckt, dass die UNO die Stadt schon vor Jahren zum Weltkulturerbe erklärte.
Ich genieße das wunderbare Anwesen mit einem duftenden Berggarten und einer kleinen
Poesiebibliothek mit einer einzigartigen Aussicht. In den Bäumen flöten muntere Vögel; immer wieder kann man in Chile selbst
im dichtesten Verkehr schöne Vogellieder aus den Bäumen hören, nur gesehen habe
ich diese Vögel hier niemals. Im Café nebenan esse ich eine heiße Empanada und
trinke Kaffee, dann laufe ich, umweht von allerlei Blumendüften, im
Sonnenschein durch die steilen Gassen der kleinen bunten Häuser bis hinunter Richtung Hafen. Es gibt immer neue Panoramablicke von alltagspoetischer
Schönheit zu entdecken und ich frage mich, ob man sich glücklicher fühlt als andere, wenn
man hier lebt (und denke: ja).
Unten an der Küstenstraße dann die Ernüchterung: Statt, wie ich gehofft hatte, ans Meer zu gelangen, um den Pazifik zu begrüßen, sehe ich mich eine rauhen Eisenbahntrasse und einem streng umzäunten Industriehafen gegenüber; es wird also bei den schönen Ausblicken von oben auf das Meer bleiben. Ich streune noch eine Weile durch die samstägliche Altstadt und gelange dann fast von selbst zurück zum Busbahnhof, wo schon ein gemütlicher Überlandbus nach Santiago auf mich wartet, der mich auf der Rückfahrt durch blühende Berghänge im Abendlicht in einen sanften Schlummer wiegt…
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Unten an der Küstenstraße dann die Ernüchterung: Statt, wie ich gehofft hatte, ans Meer zu gelangen, um den Pazifik zu begrüßen, sehe ich mich eine rauhen Eisenbahntrasse und einem streng umzäunten Industriehafen gegenüber; es wird also bei den schönen Ausblicken von oben auf das Meer bleiben. Ich streune noch eine Weile durch die samstägliche Altstadt und gelange dann fast von selbst zurück zum Busbahnhof, wo schon ein gemütlicher Überlandbus nach Santiago auf mich wartet, der mich auf der Rückfahrt durch blühende Berghänge im Abendlicht in einen sanften Schlummer wiegt…
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Freut mich, dass du jetzt meine Übersetzungen verwenden konntest. Hoffentlich geht es dir gut. :)
AntwortenLöschenNatalia
liebe natalia, ja, deine übersetzungen kamen in santiago zum einsatz! (vorher aber auch schon mal in barcelona.) es gibt nun auch ein paar aktuelle, z.t. von dichtern und studenten vor ort erstellt. - wo steckst du denn inzwischen? -- herzlich, martin.
LöschenHallo Martin, ich unterrichte Literatur an der Romanistik der RWTH Aachen, also bin immer noch in Deutschland... Liebe Grüsse, Natalia
AntwortenLöschenhola jankowski como va la vida?
AntwortenLöschensaludos de los Füchse que cantan en llafenko!