...noch Sonntag, 11. November –
Mitternacht…
>> Plötzlich öffnete sich die Stirnseite des Saales; die Stoffverkleidung entpuppte sich als Vorhang - hinter dem überraschender Weise ein einziger Schlag erklang, der das Dröhnen der Sambaband unten im Saal spielend übertönte. Es eröffnete sich der Blick auf eine breite Empore, auf der dichtgedrängt etwa 120 Menschen mit Schlaginstrumenten standen, die auf ein Zeichen ihres Meisters (ein Mulatte im roten Polohemd) plötzlich mit ganzem Körpereinsatz zu spielen begannen, als ginge es um ihre Leben. Die Schallwelle erreichte unsere Brustkörbe wie ein Tsunamiberg aus Klang und Rhythmus, es war unmöglich, sich dieser Wirkung zu entziehen. Wir blickten uns an und waren mittels Sekunden von dem Dauerfeuer dieses gigantischen Percussionsorchesters - der Batteria- erfasst. Unten im Saal brach unbeschreiblicher Jubel aus, die Weite der Halle füllte sich augenblicklich mit hunderten Tänzern aller Hautfarben und Kleidungsstile, die ihre Beine wirbeln ließen als gäbe es kein Morgen.
>> Plötzlich öffnete sich die Stirnseite des Saales; die Stoffverkleidung entpuppte sich als Vorhang - hinter dem überraschender Weise ein einziger Schlag erklang, der das Dröhnen der Sambaband unten im Saal spielend übertönte. Es eröffnete sich der Blick auf eine breite Empore, auf der dichtgedrängt etwa 120 Menschen mit Schlaginstrumenten standen, die auf ein Zeichen ihres Meisters (ein Mulatte im roten Polohemd) plötzlich mit ganzem Körpereinsatz zu spielen begannen, als ginge es um ihre Leben. Die Schallwelle erreichte unsere Brustkörbe wie ein Tsunamiberg aus Klang und Rhythmus, es war unmöglich, sich dieser Wirkung zu entziehen. Wir blickten uns an und waren mittels Sekunden von dem Dauerfeuer dieses gigantischen Percussionsorchesters - der Batteria- erfasst. Unten im Saal brach unbeschreiblicher Jubel aus, die Weite der Halle füllte sich augenblicklich mit hunderten Tänzern aller Hautfarben und Kleidungsstile, die ihre Beine wirbeln ließen als gäbe es kein Morgen.
Abgelenkt von der Wucht der
Batteria (deren unentwegte, ohrenbetäubende Rhythmen man buchstäblich in allen
Knochen fühlte) war mir nicht aufgefallen, dass sich unter den Tänzern an zwei
Stellen im Saal Doppelreihen aus rosa-grün gekleideten Sambatänzern positioniert
hatten (die Männer mit weißen Hüten, die Frauen mit knappen Kleidchen). Jetzt
zeigten sie in lockeren Formationstänzen, wie man den Samba angehen muss:
Lässig in den Hüften und ein Lächeln im Gesicht, aber mit Beinen, die
trippelten und wirbelten, dass keine Kamera der Welt ihnen folgen könnte. Sie
schufen sich mal hier, mal da im Saal Platz unter den Tänzern, die ihnen
begeistert folgten. Und allmählich begriff ich, dass das Ganze einem
ausgeklügelten System folgte: Es gab ein komplexes, aber festgelegtes Wechselspiel
zwischen den Tänzern, der Batteria und der Sambaband; eine ausgeklügelte
Choreographie der Stile und Sensationen über die ganze Weite der Halle hinweg,
dem die Menge begeistert und ohne jede Pause folgte.
Diese Nacht ist die öffentliche Probe des Sambaclubs von Mangueira, der derzeit legendärsten aller Sambaschulen von Rio, und das hier war nicht für Besucher wie uns gedacht, sondern eine leidenschaftliche Probe für alle Anhänger und Mitglieder dieses Clubs aus dem hiesigen Viertel. Es ging um nicht weniger als die Durchlaufproben für den Straßenkarneval von Rio, bei dem im kommenden Februar wieder die zwölf besten Clubs der Stadt um den Sieg streiten würden und dafür mussten jede Bewegung, jede Synkope perfekt sitzen, denn Mangueira hatten den Ruf der Meisterschaft zu verteidigen. Manchmal erklang unvermittelt ein ruhigeres Lied von der Saaltribüne in der Mitte – bekannte Sänger des Viertels enterten dafür mit ihren Musikern die Bühne und wurden vom Volk bejubelt, ehe die Masse zu ihrem Gesang in den nächsten Tanz ausbrach. Dann wieder übernahm die Batteria mit der Gewalt erneuter akustischer Vulkanausbrüche die Führung und die Tänzer formierten sich zu neuen Figuren und Formen, ohne dass jemals mehr als eine halbe Sekunde Pause entstehen konnte.
Der Saal bewegte sich entlang der mitreißenden Musik stetig in Richtung Ekstase und auch wir, die wir anfangs nur verzückt auf das Treiben da unten geglotzt und ein wenig mit den Knien gewippt hatten, mussten jetzt hinunter in den Saal und uns unter die tobende, hundertköpfige Meute mischen. Während wir lachend und schwitzend in der Menge zappelten, fiel mir ein, dass es nach Mitternacht sein musste, mithin Martinstag: Vermutlich gab es noch nie einen passenderen Karnevalsauftakt als diesen hier in einer bebenden Sambahalle von Rio – auch wenn sich im katholisch geprägten Brasilien niemand um diesen Tag scherte und so etwas wie Karnevalsanfang hier gar nicht existierte… Wer in Rio lebt, also fast jeder von den ca. 10 Millionen echter Cariocas, gehört von Kindheit an das ganze Jahr über zu einem der Sambaclubs, die nach Stadtvierteln organisiert sind: Der Verein und die Farben des Vereins sind existenzieller Teil der persönlichen Identität und werden ebenso leidenschaftlich geliebt und verehrt, wie die Fußballclubs – und immer geht es darum, besser zu werden, um die anderen im Wettstreit um die Meisterschaft zu besiegen. Die Fahne des Sambaclubs ist eine Reliquie, die von allen auch genauso verehrt wird. Unsere (ja genau, Mangueira, der Mangobaumclub, war jetzt plötzlich auch unserer) Fahne war natürlich rosagrün, aus schwerem und handbesticktem Seidenstoff. Sie stand feierlich an der Boxringbühne, immerfort gingen Leute zu ihr hin, küssten sie und ließen sich mit ihr fotografieren. Und weil alle hier zu diesem Club gehören wollten und sollen, war die Menge im Saal auch so buntgemischt: Hier tanzten kleine sechsjährige Mädchen und Jungen mit atemberaubenden Tanz-Moves zwischen ausgeflippten Paaren; alte Herren in weißen Anzügen führten filigrane Choreografien mit ihren weißen Schuhen und Hüten auf, es gab Fußballfans in Trikots und Normalos in Jeans oder Jogginghosen; es tanzten Weiße, Mulatten oder Afrobrasilianer alle Schattierungen, Schwärme schöner junger Frauen, einsame Männer mit und ohne Muskeln, schwule Ballerinas und Dragqueens mit dem unglaublichsten Hüftschwung der Welt. Alle hatten sich etwas Besonderes angezogen, die Clubtänzer trugen Vereinsfarben – alle waren geschmückt, aber niemand war kostümiert. Alle waren ausgelassen und ließen sich von den Wellen der Musik und der Tanzbegeisterung tragen und antreiben, aber es gab kein Programm. Dieser Samba kam gänzlich ohne Flitterdeko und Späßchen aus – er besteht nur aus einem Ozean hochkomplexer Rhythmen und der Energie gemeinsamer Bewegung.
Diese Wucht und diese lässige, aber unbedingte Leidenschaft all der ausgelassenen Verrückten, die hier einfach tanzten, tanzten, tanzten was die Knochen hergaben und wie ihnen der Sinn stand – das war schier unglaublich. (Jeder Rave, jeder Ball den ich bislang erlebte, war steifer, gekünstelter Kindergartenspaß gegen dieses Ereignis der ungebremsten Lebensfreude. Und dieses Unglaubliche schien hier etwas ganz Normales, Alltägliches, etwas so Echtes und Verbindendes… mir liefen, während wir im Dauerfeuerwerk der Klänge tanzten, die Tränen, weil ich diese Überfülle an Freude einfach nicht fassen konnte… und war nicht der einzige, Fabiana, einer echten Carioca aus dem Festivalteam, die neben mir in unserem Schwarm tanzte, ging es genauso… Mann, und das hier war ja nur eine Probe…)
Nach etwa zwei Stunden änderte sich etwas in der Atmosphäre, man spürte, dass etwas bevorstand. Wir stiegen wieder hinauf auf unsere Betonloge und sahen von dort, wie eine neue Tanzformation in bestickter Tänzerkleidung ein Areal vor der Mittelbühne besetzte. Die auf der Empore unentwegt hin und her wogende Batteria schickte einen neuen Rhythmus-Schwall in die Halle und in die Mitte der Tänzer hielt sie Einzug... Diese schlanke Tänzerin (mit edlem Tanzrock und wehenden langen Haaren das Idealbild eine lateinamerikanischen Schönheit) war die strahlend junge Königin des Clubs – ihre Schönheit erlaubte ihr als einziger in diesem Jahr die Fahne des Vereins in den Tanz zu führen. Begleitet von einem bohnenstangen-langen Afrobrasilianer (er im beigen Anzug und mit dicker weißer Sonnenbrille) schwebte sie in ihrem Vereinsköniginnenkleid mit größter Leichtigkeit und der Anmut einer Märchenprinzessin über den Tanzboden, ließ die Fahne und ihre Haare in immer neuen Formationen fliegen und riss die Menge zu weiteren Jubelstürmen und noch leidenschaftlicheren Tänzen hin. Fabiana schrie mir ins Ohr, dass sie, seit sie ein Kind war, immer davon geträumt habe, einmal die Fahnenträgerin sein zu dürfen, aber es hätte nicht geklappt und jetzt gehe sie auf die fünfzig zu… aber dann machte sie mich auf eine alte Lady und ihren würdigen Begleiter aufmerksam, die beide mit königlichen Trippelschritten in Richtung der Sambakönigin tanzten. Das sei eine der Bahias, eine der zwölf ehrwürdigen Zauberinnen, die den Sambazug und seine Königin begleiten würden, um sie vor schlechten Einflüssen zu schützen, denn diese alten Damen symbolisierten die Verbindung zum Ursprung des Sambas in den Tänzen und Riten der afrikanischen Sklaven von Bahia (einer Region nördlich von Rio). Die Tänzerkönigin und die Bahia begegneten sich schließlich, die Bahia küsste die Fahne, die ihr die Tanzkönigin reichte, und sie, die auserwählte Fahnenträgerin, verneigte sich vor der Bahia – an dieser Stelle wurde der Jubel der Massen in der Halle fast lauter als das ohrenbetäubende Dauerfeuer des hundertzwanzig Percussionistas auf der Empore: Der Saal kochte in höchster Ekstase (und Fabiana wischte sich weitere Tränchen aus dem strahlenden Gesicht)…
Wir blieben nicht die ganze Nacht dort (das würden Normalsterbliche wie wir gar nicht überleben) und sahen das Ende der Zeremonien nicht, aber wir verließen den Sambaclub (von dem wir immer noch nicht glauben konnten, dass er für jedermann offen und gratis war und dass es sich nur um eine Probe handeln sollte) erst Stunden nach dem wir es eigentlich geplant hatten. Zum ersten Mal gab es auf diesem Heimweg im Dichterbus keine höfliche Konversation – alle rangen mit glühenden Gesichtern um Fassung und versuchten sich gegenseitig zu erklären, was wir da eben gesehen und gehört hatten … Selbst unsere zurückhaltenden arabischen Jungdichter plapperten und lachten jetzt aufgeregt und mit glänzenden Augen (und versuchten vermutlich sich selbst davon zu überzeugen, dass dieser verderbte westliche Zauber Allah eventuell hoffentlich doch auch ein bisschen gefallen würde…). Solch einhellig begeisterte Ergriffenheit hatte es auf diesem Festival unter den Dichtern bislang noch nicht gegeben.
Diese Nacht ist die öffentliche Probe des Sambaclubs von Mangueira, der derzeit legendärsten aller Sambaschulen von Rio, und das hier war nicht für Besucher wie uns gedacht, sondern eine leidenschaftliche Probe für alle Anhänger und Mitglieder dieses Clubs aus dem hiesigen Viertel. Es ging um nicht weniger als die Durchlaufproben für den Straßenkarneval von Rio, bei dem im kommenden Februar wieder die zwölf besten Clubs der Stadt um den Sieg streiten würden und dafür mussten jede Bewegung, jede Synkope perfekt sitzen, denn Mangueira hatten den Ruf der Meisterschaft zu verteidigen. Manchmal erklang unvermittelt ein ruhigeres Lied von der Saaltribüne in der Mitte – bekannte Sänger des Viertels enterten dafür mit ihren Musikern die Bühne und wurden vom Volk bejubelt, ehe die Masse zu ihrem Gesang in den nächsten Tanz ausbrach. Dann wieder übernahm die Batteria mit der Gewalt erneuter akustischer Vulkanausbrüche die Führung und die Tänzer formierten sich zu neuen Figuren und Formen, ohne dass jemals mehr als eine halbe Sekunde Pause entstehen konnte.
Der Saal bewegte sich entlang der mitreißenden Musik stetig in Richtung Ekstase und auch wir, die wir anfangs nur verzückt auf das Treiben da unten geglotzt und ein wenig mit den Knien gewippt hatten, mussten jetzt hinunter in den Saal und uns unter die tobende, hundertköpfige Meute mischen. Während wir lachend und schwitzend in der Menge zappelten, fiel mir ein, dass es nach Mitternacht sein musste, mithin Martinstag: Vermutlich gab es noch nie einen passenderen Karnevalsauftakt als diesen hier in einer bebenden Sambahalle von Rio – auch wenn sich im katholisch geprägten Brasilien niemand um diesen Tag scherte und so etwas wie Karnevalsanfang hier gar nicht existierte… Wer in Rio lebt, also fast jeder von den ca. 10 Millionen echter Cariocas, gehört von Kindheit an das ganze Jahr über zu einem der Sambaclubs, die nach Stadtvierteln organisiert sind: Der Verein und die Farben des Vereins sind existenzieller Teil der persönlichen Identität und werden ebenso leidenschaftlich geliebt und verehrt, wie die Fußballclubs – und immer geht es darum, besser zu werden, um die anderen im Wettstreit um die Meisterschaft zu besiegen. Die Fahne des Sambaclubs ist eine Reliquie, die von allen auch genauso verehrt wird. Unsere (ja genau, Mangueira, der Mangobaumclub, war jetzt plötzlich auch unserer) Fahne war natürlich rosagrün, aus schwerem und handbesticktem Seidenstoff. Sie stand feierlich an der Boxringbühne, immerfort gingen Leute zu ihr hin, küssten sie und ließen sich mit ihr fotografieren. Und weil alle hier zu diesem Club gehören wollten und sollen, war die Menge im Saal auch so buntgemischt: Hier tanzten kleine sechsjährige Mädchen und Jungen mit atemberaubenden Tanz-Moves zwischen ausgeflippten Paaren; alte Herren in weißen Anzügen führten filigrane Choreografien mit ihren weißen Schuhen und Hüten auf, es gab Fußballfans in Trikots und Normalos in Jeans oder Jogginghosen; es tanzten Weiße, Mulatten oder Afrobrasilianer alle Schattierungen, Schwärme schöner junger Frauen, einsame Männer mit und ohne Muskeln, schwule Ballerinas und Dragqueens mit dem unglaublichsten Hüftschwung der Welt. Alle hatten sich etwas Besonderes angezogen, die Clubtänzer trugen Vereinsfarben – alle waren geschmückt, aber niemand war kostümiert. Alle waren ausgelassen und ließen sich von den Wellen der Musik und der Tanzbegeisterung tragen und antreiben, aber es gab kein Programm. Dieser Samba kam gänzlich ohne Flitterdeko und Späßchen aus – er besteht nur aus einem Ozean hochkomplexer Rhythmen und der Energie gemeinsamer Bewegung.
Diese Wucht und diese lässige, aber unbedingte Leidenschaft all der ausgelassenen Verrückten, die hier einfach tanzten, tanzten, tanzten was die Knochen hergaben und wie ihnen der Sinn stand – das war schier unglaublich. (Jeder Rave, jeder Ball den ich bislang erlebte, war steifer, gekünstelter Kindergartenspaß gegen dieses Ereignis der ungebremsten Lebensfreude. Und dieses Unglaubliche schien hier etwas ganz Normales, Alltägliches, etwas so Echtes und Verbindendes… mir liefen, während wir im Dauerfeuerwerk der Klänge tanzten, die Tränen, weil ich diese Überfülle an Freude einfach nicht fassen konnte… und war nicht der einzige, Fabiana, einer echten Carioca aus dem Festivalteam, die neben mir in unserem Schwarm tanzte, ging es genauso… Mann, und das hier war ja nur eine Probe…)
Nach etwa zwei Stunden änderte sich etwas in der Atmosphäre, man spürte, dass etwas bevorstand. Wir stiegen wieder hinauf auf unsere Betonloge und sahen von dort, wie eine neue Tanzformation in bestickter Tänzerkleidung ein Areal vor der Mittelbühne besetzte. Die auf der Empore unentwegt hin und her wogende Batteria schickte einen neuen Rhythmus-Schwall in die Halle und in die Mitte der Tänzer hielt sie Einzug... Diese schlanke Tänzerin (mit edlem Tanzrock und wehenden langen Haaren das Idealbild eine lateinamerikanischen Schönheit) war die strahlend junge Königin des Clubs – ihre Schönheit erlaubte ihr als einziger in diesem Jahr die Fahne des Vereins in den Tanz zu führen. Begleitet von einem bohnenstangen-langen Afrobrasilianer (er im beigen Anzug und mit dicker weißer Sonnenbrille) schwebte sie in ihrem Vereinsköniginnenkleid mit größter Leichtigkeit und der Anmut einer Märchenprinzessin über den Tanzboden, ließ die Fahne und ihre Haare in immer neuen Formationen fliegen und riss die Menge zu weiteren Jubelstürmen und noch leidenschaftlicheren Tänzen hin. Fabiana schrie mir ins Ohr, dass sie, seit sie ein Kind war, immer davon geträumt habe, einmal die Fahnenträgerin sein zu dürfen, aber es hätte nicht geklappt und jetzt gehe sie auf die fünfzig zu… aber dann machte sie mich auf eine alte Lady und ihren würdigen Begleiter aufmerksam, die beide mit königlichen Trippelschritten in Richtung der Sambakönigin tanzten. Das sei eine der Bahias, eine der zwölf ehrwürdigen Zauberinnen, die den Sambazug und seine Königin begleiten würden, um sie vor schlechten Einflüssen zu schützen, denn diese alten Damen symbolisierten die Verbindung zum Ursprung des Sambas in den Tänzen und Riten der afrikanischen Sklaven von Bahia (einer Region nördlich von Rio). Die Tänzerkönigin und die Bahia begegneten sich schließlich, die Bahia küsste die Fahne, die ihr die Tanzkönigin reichte, und sie, die auserwählte Fahnenträgerin, verneigte sich vor der Bahia – an dieser Stelle wurde der Jubel der Massen in der Halle fast lauter als das ohrenbetäubende Dauerfeuer des hundertzwanzig Percussionistas auf der Empore: Der Saal kochte in höchster Ekstase (und Fabiana wischte sich weitere Tränchen aus dem strahlenden Gesicht)…
Wir blieben nicht die ganze Nacht dort (das würden Normalsterbliche wie wir gar nicht überleben) und sahen das Ende der Zeremonien nicht, aber wir verließen den Sambaclub (von dem wir immer noch nicht glauben konnten, dass er für jedermann offen und gratis war und dass es sich nur um eine Probe handeln sollte) erst Stunden nach dem wir es eigentlich geplant hatten. Zum ersten Mal gab es auf diesem Heimweg im Dichterbus keine höfliche Konversation – alle rangen mit glühenden Gesichtern um Fassung und versuchten sich gegenseitig zu erklären, was wir da eben gesehen und gehört hatten … Selbst unsere zurückhaltenden arabischen Jungdichter plapperten und lachten jetzt aufgeregt und mit glänzenden Augen (und versuchten vermutlich sich selbst davon zu überzeugen, dass dieser verderbte westliche Zauber Allah eventuell hoffentlich doch auch ein bisschen gefallen würde…). Solch einhellig begeisterte Ergriffenheit hatte es auf diesem Festival unter den Dichtern bislang noch nicht gegeben.
(PS: Beim Frühstücksgespräch hatte ich auf die Höflichkeitsfrage des Spaniers, ob ich denn für mein Schreiben Prosa oder Lyrik vorzöge, mit dem Bonmot geantwortet, es sei die Musik, die ich bevorzöge... Diese nicht nur scherzhaft gemeinte Antwort erhielt durch das Erlebnis im Sambaclub nachträglich einen tieferen Sinn…)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen